Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen

Titel: Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen
Autoren: Amelie Fried
Vom Netzwerk:
Familienfotos will ich sowieso lieber als Papierabzüge, zum Einkleben ins Fotoalbum. Die Sachen für Ebay kann mein Sohn für mich fotografieren, der hat nämlich längst eine Kamera. Und witzige Schnappschüsse mache ich keine, weil ich meinen Mitmenschen nicht auf den Wecker gehen will. Ganz abgesehen davon, dass ich das Teil natürlich nicht bedienen kann, weil es unzählige Funktionen hat, die mich nur verwirren. Sehnsüchtig erinnere ich mich an meine erste Kamera, eine Kodak instamatic. Die hatte genau einen Knopf: den Auslöser. Und die Bilder waren auch nicht schlechter.
    Ehrlich gesagt bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir Frauen diese ganze Technik nicht verstehen
können
, und dafür gibt es einen simplen Grund: Weil sie von Männern entwickelt wurde.
    Männliche Gehirne ticken anders als weibliche, dafür gibt es jede Menge – auch wissenschaftlicher – Beweise. Ist also logisch, dass die Geräte so funktionieren, wie es männlichem Denken entspricht. Demnach bin nicht
ich
zu doof, meinen Videorekorder zu programmieren, sondern der Rekorder ist – typisch männlich – nicht bereit, sich auf meine weibliche Denkweise einzulassen.
    Wie die meisten Frauen habe ich lange gebraucht, um zu kapieren, dass meine schwierige Beziehung zerrüttet ist.
    Aber jetzt habe ich gehandelt: Die Scheidung von meinem Videorekorder ist durch!

Mit dem Hintern ins Gesicht
    Es ist höchste Zeit, mal wieder über den Verfall der guten Sitten zu jammern. Ich rede nicht davon, dass die meisten Menschen nicht mehr zu wissen scheinen, wie man mit Messer und Gabel isst. Nicht davon, dass man mindestens einmal täglich eine Tür aufs Auge bekommt, weil keiner mehr schaut, ob jemand hinter ihm ist. Nicht davon, dass in der Öffentlichkeit ungeniert gerülpst, gerotzt und gepupst wird, als befänden wir uns in einer Kleinkinderkrippe. Ich rede auch nicht davon, dass kaum mehr jemand »Bitte« oder »Danke« sagt, einem Mitmenschen den Vortritt lässt oder ihm gar in den Mantel hilft. Oder davon, dass jeder sich rücksichtslos vordrängelt, egal, ob beim Einkaufen, an der Tankstelle, an der Ampelkreuzung, auf der Autobahn.
    Es besteht kein Zweifel, dass die Barbaren im Begriff sind, die Macht zu übernehmen. Aber das eigentlich Schlimme ist: Es scheint kaum noch jemanden zu geben, denn das stört!
    Ich komme mir immer vor wie die letzte Spießerin, wenn ich mich darüber empöre, wie roh und unhöflich Menschen miteinander umgehen, denn um mich her scheinen es alle in Ordnung zu finden.
    Niemand regt sich auf, wenn der Nachbar in der U-Bahn beim Gähnen den Mund so weit aufreißt, dass man den Zustand seiner Kauwerkzeuge und der Rachenmandeln studieren kann. Keiner findet es komisch, dass sich im Kino oder Theater alle mit abgewandtem Gesicht an einem vorbeidrängeln, was bedeutet, dass man als Sitzender den Hintern des Dränglers im Gesicht hat. (Ich habe gelernt, dass man dem Sitzenden nicht nur die Vorderseite zuwendet, sondern sich fürs Vorbeidrängeln auch noch höflich entschuldigt, wobei der Sitzende sich eigentlich sogar zu erheben hätte, aber das macht heute schon gar niemand mehr.)
    Ungerührt schauen die Leute zu, wie alte Damen sich mit schweren Koffern abplagen oder im Bus stehen müssen. Hemmungslos wird in aller Öffentlichkeit in den Zähnen gebohrt, geräuschvoll die Nase hochgezogen und ausgespuckt. Der Platz für diese Kolumne reicht nicht aus, um aufzuzählen, was man tagtäglich an schlechtem Benehmen beobachten kann und wie gleichgültig allgemein darauf reagiert wird.
    Anders als früher, wo junge Leute auch mal bewusst gegen die Regeln des guten Benehmens verstoßen haben, weil das zum Erwachsenwerden gehört, beschleicht einen heute der Eindruck, dass kaum einer die Regeln überhaupt noch kennt. Erziehung findet offenbar nicht mehr statt. Das, was traditionell in der Familie weitergegeben wurde, wird dort nicht mehr beigebracht, weil es die Eltern selbst nicht mehr können. So wurde inzwischen in Bremen als erstem Bundesland das Schulfach »Benehmen« eingeführt; andere Länder wollen folgen. Wir sind ein Volk von Benimm-Analphabeten geworden, und wenn der Mantel der Zivilisation dünn wird, schimmert das Barbarentum durch.
    Es herrscht ein Hauen und Stechen, die Ellenbogengesellschaft entlässt ihre Kinder. Und wenn die überhaupt was gelernt haben, dann, dass man weiter kommt, wenn man egoistisch und rücksichtslos vorgeht und sich nicht von lästigen Umgangsformen aufhalten lässt. Zahlt mir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher