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Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen

Titel: Offene Geheimnisse und andere Enthuellungen
Autoren: Amelie Fried
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Mann danach aussuchen, ob er unserem Vater ähnlich ist, breite Schultern hat, schöne Hände oder eine gewinnende Persönlichkeit. Wenn es nach meinem guten, alten Freund Lorenz ginge, könnten die Psychologen ihre Feldstudien sofort einstellen, er ist nämlich überzeugt, den Schlüssel gefunden zu haben: das Prostitutions-Gen. Soll heißen: Frauen orientieren sich bei der Partnersuche ausschließlich an Status und Geld, alles andere interessiert sie einen feuchten Dreck.
    Als er mir seine These zum ersten Mal auseinander setzte, wies ich sie natürlich empört zurück. Je älter ich werde, je mehr Lebenserfahrung ich gesammelt, je mehr Klatsch-Magazine ich gelesen habe, desto eher bin ich allerdings geneigt, Lorenz Recht zu geben.
    Nehmen wir das Ehepaar Berlusconi. Er: Ministerpräsident von Italien, ein bisschen kurz geraten, lichtes Haar, alles in allem eine durchschnittliche Erscheinung. Sie: ehemalige Schauspielerin, langhaarig, langbeinig, großbusig, schmolllippig. Während er ununterbrochen redet (meist am Telefon), liebt sie angeblich die Stille, gute Konzerte und die Literatur.
    Solange er die italienische Nation mit dem übelsten TV-Flachsinn überzog, erzog sie die drei gemeinsamen Kinder nach der anthroposophischen Lehre des Waldorfschul-Begründers Rudolf Steiner. Als er George Bush in den Irak-Krieg folgte, äußerte sie sich öffentlich gegen den Krieg. Sie versäumte auch nicht, die Öffentlichkeit davon in Kenntnis zu setzen, dass sie nicht die konservative Partei ihres Mannes wähle, sondern die Sozialisten oder auch mal die Radikale Partei.
    Sie unterstützte das Philosophie-Studium der ältesten Tochter gegen den Willen des Vaters, der sich etwas Nützliches wie Jura oder Wirtschaft gewünscht hätte. Und als er anbot, die Druckfahnen ihrer Autobiographie zu korrigieren, wies sie das Angebot dankend zurück. Womöglich, weil sie an anderer Stelle geäußert hatte, Zensur sei für sie »schrecklich, hassenswert und inakzeptabel«.
    Bei so vielen fundamentalen Gegensätzen fragt man sich doch, was diese Frau bei einem Mann hält, der ganz offensichtlich das krasse Gegenteil von ihr verkörpert? Ob es vielleicht am Rande was damit zu tun haben könnte, dass Herr Berlusconi vielfacher Millionär ist?
    Betrachten wir die unzähligen Möchtegern-Schauspielerinnen, Sängerinnen, Stars und Sternchen, die sich auch hierzulande bevorzugt in der Nähe reicher und berühmter Männer aufhalten, in der Hoffnung, einer von ihnen möge mit seinen Blicken an ihren langen Beinen, langen Haaren, großen Brüsten und schmolligen Lippen hängen bleiben, auf dass sie zukünftig ein sorgloses Leben als reiche Gattin führen können.
    Im Bewusstsein dieser jungen Frauen, die – wenn sie nicht zufällig über gewisse körperliche Attribute verfügten – ganz normale Büroangestellte, Verkäuferinnen, PR-Beraterinnen oder Hausfrauen wären, hat das Tauschgeschäft körperliche Schönheit gegen Geld offenbar nichts Anrüchiges. Doch was ist das anderes als Prostitution?
    Ist mir ja schon ein wenig peinlich, mit dem Finger auf mein eigenes Geschlecht zu zeigen, aber haben wir uns nicht alle schon gefragt, ob die hübsche, junge Moderatorin den dreißig Jahre älteren, reichen Musikproduzenten auch geheiratet hätte, wenn der kein reicher Musikproduzent wäre, sondern Bahnbeamter? Oder, warum auch Kerle, die man mit der Beißzange nicht anfassen würde, immer wieder junge, schöne Frauen mit langen Haaren, langen Beinen, großem Busen und schmolligen Lippen finden, sofern sie Medien-Mogule, Großunternehmer oder reiche Erben sind?
    Nehmen wir zur Ehrenrettung unseres Geschlechtes an, dass es Ausnahmen gibt. Sie zum Beispiel. Ja, Sie. Oder Sie da drüben. Auch auf mich trifft Lorenz’ These nicht zu: Ich habe den Heiratsantrag eines Millionenerben abgelehnt, weil der Typ mir einfach zu langweilig war. Stattdessen habe ich einen Mann geheiratet, dessen Barvermögen bei der Eheschließung 280 DM betrug, mit dem ich aber so viel lachen konnte wie mit keinem zuvor. Nach nunmehr sechzehn Jahren unterhält er mich immer noch aufs Beste, und ich liebe ihn ausschließlich um seiner selbst willen. Und das ist mehr wert als alles Geld der Welt!

Alle Jahre wieder
    Es naht Weihnachten, die größte Herausforderung des Jahres, denn in dieser Zeit gilt es mal wieder, den Gute-Mutter-Test zu bestehen. Eine gute Mutter schafft eine kuschelige, vorweihnachtliche Atmosphäre; sie dekoriert die Familienbehausung mit Zweiglein und
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