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Öland

Öland

Titel: Öland
Autoren: Johan Theorin
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Schule, von der Arbeitwürde er kommen. Jens müsste die Schule ja schon vor Jahren abgeschlossen haben.
    Was bist du geworden, Jens? Feuerwehrmann? Rechtsanwalt? Lehrer?
    Später saß sie auf ihrem Bett vor dem Fernseher in ihrer kleinen Einzimmerwohnung, sah erst eine Sendung über Kreuzottern und schaltete dann zu einer Kochsendung um, in
     der ein Mann und eine Frau Fleisch brieten. Als sie zu Ende
     war, stand Julia auf, ging in die Küche und überprüfte, ob
     die Weingläser im Schrank abgestaubt werden mussten. Ja,
     wenn man sie gegen die Küchenlampe hielt, sah man kleine
     Staubpartikel.
    Sie nahm eines nach dem anderen heraus und staubte es
     ab. Julia hatte vierundzwanzig Weingläser und benutzte sie
     der Reihe nach. Jeden Abend trank sie zwei Gläser Rotwein,
     manchmal auch drei.
    Als sie am Abend neben dem Fernseher auf dem Bett lag,
     klingelte das Telefon in der Küche.
    Julia blinzelte beim ersten Klingelton, rührte sich aber
     nicht. Sie musste nicht gehorchen, war nicht verpflichtet
     abzuheben.
    Das Telefon klingelte erneut. Sie beschloss, nicht da zu
     sein, sie war außer Haus, ein wichtiger Termin.
    Ohne den Kopf heben zu müssen, konnte sie aus dem Fenster sehen, auch wenn das Einzige, was es da draußen zu sehen gab, die Häuserdächer der Straße waren, die noch dunklen Straßenlaternen und die Baumkronen. Die Sonne war
     hinter der Stadt untergegangen, der Himmel wurde langsam
     dunkler.
    Das Telefon klingelte zum dritten Mal.
    Die Dämmerung war hereingebrochen. Die Stunde der
     Schatten.
    Das Telefon klingelte ein viertes Mal.
    Julia stand nicht auf.
    Es klingelte ein letztes Mal, dann war es wieder still. Draußen gingen die Straßenlaternen an und erhellten mit ihrem
     Licht den Asphalt.
    Der Tag war ganz gut verlaufen.
    Nein. Eigentlich gab es keine guten Tage. Aber einige vergingen schneller als andere.
    Julia war immer allein.
    Wenn Julia nicht ans Telefon ging, erhielt sie als Belohnung oft eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, und
     als das Klingeln an diesem Abend erstarb, stand sie auf und
     hob den Hörer ab, um zu lauschen, hörte aber nur ein Rauschen.
    Sie legte auf und öffnete die Schranktür über dem Kühlschrank. Dort stand die Flasche des Tages, wie üblich eine Flasche Rotwein.
    Tatsächlich war es die zweite Flasche des Tages, weil sie
     beim Mittagessen die Flasche vom Vorabend geleert hatte.
    Sie goss sich ein Glas ein, trank es schnell aus und schenkte
     sich noch eines ein.
    Der Wein wärmte, und erst jetzt war sie in der Lage, sich
     umzudrehen und aus dem Küchenfenster zu schauen. Es war
     dunkel geworden, die Straßenlaternen beleuchteten nur wenige kreisförmige Stellen auf dem Asphalt. Nichts bewegte
     sich im Schein der Laternen. Aber was verbarg sich in ihrem
     Schatten? Das konnte man nicht sehen.
    Julia kehrte dem Fenster den Rücken zu und leerte ihr
     zweites Glas. Jetzt fühlte sie sich ruhiger. Sie war so angespannt gewesen nach dem Telefonat mit der Krankenkasse,
     aber jetzt ging es ihr wieder besser. Vielleicht sollte sie ein
     bisschen Musik hören, zum Beispiel Satie, eine Tablette nehmen und vor Mitternacht einschlafen.
    Da klingelte das Telefon erneut.
    Nach dem dritten Läuten setzte sie sich mit gesenktem
     Kopf im Bett auf. Nach dem fünften Klingelton stand sie auf,
     nach dem siebten war sie in der Küche.
    Ehe das Telefon ein neuntes Mal klingeln konnte, nahm sie
     den Hörer ab. Sie flüsterte:
    »Julia Davidsson.«
    »Julia?«
    Sie hörte, wer am Apparat war.
    »Gerlof?«, sagte sie leise.
    Sie sagte schon lange nicht mehr Papa zu ihm.
    »Ja … ich bin es. Ich glaube … ich weiß jetzt mehr darüber …
     was passiert ist.«
    »Was?« Julia starrte auf die Wand. »Wie was passiert ist?«
    »Na ja, das … mit Jens.«
    »Ist er tot?«
    Es war, als hätte man eine Wartenummer gezogen. Eines
     Tages würde die Nummer aufgerufen werden, und dann
     musste man an den Schalter gehen und würde eine Auskunft
     bekommen.
    Julia musste an weiße Knochensplitter denken, die an den
     Strand bei Stenvik angespült wurden, obwohl Jens solche
     Angst vor Wasser hatte.
    »Julia, das wird er wohl sein …«
    »Aber haben sie ihn gefunden?«, unterbrach sie ihn.
     »Nein. Aber …«
    Sie blinzelte.
    »Warum rufst du dann an?«
    »Es hat ihn keiner gefunden. Aber ich habe …«
    »Dann ruf mich gefälligst auch nicht an!«, schrie sie und
     legte auf.
    Sie setzte sich an den Küchentisch, sah in die Dunkelheit
     hinaus, dachte an
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