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Öffne deine Seele (German Edition)

Öffne deine Seele (German Edition)

Titel: Öffne deine Seele (German Edition)
Autoren: Stephan M. Rother
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objektives Bild des Geschehens zu verschaffen, ein Bild, das von der Inszenierung des Täters abwich.
    Er öffnete die Augen.
    Der Zugang zum Dahliengarten. Ein Schild verkündete die Öffnungszeiten. Es gab eine Pforte, einen niedrigen Zaun, der aber kein wirkliches Hindernis darstellte, falls das Tor denn überhaupt verschlossen war. Albrecht ging mit langsamen Schritten auf den Durchlass zu: niemals verschlossen gewesen – oder im Zuge des Polizeieinsatzes geöffnet.
    Der Hauptkommissar zögerte. Ein schnurgerader Weg führte in den eigentlichen Garten, eingefasst von hohen Hecken.
    Zwei Zugänge also, zwei Möglichkeiten, das Gelände zu betreten. Dieser hier und der Eingang an der Stadionstraße, wo vermutlich auch Friedrichs parkte. Wirklich nur diese beiden? Gab es eine Umzäunung, die den Garten von der Fläche des Volksparks trennte?
    Der Volkspark nahe der Luruper Chaussee. Albrecht war sich sicher, dass er im Polizeibericht mehrfach über diese Gegend gelesen hatte. Treffpunkt für lichtscheues Volk.
    Drogensüchtige? Nein. Perverse?
    Stopp!
    « Intentio vera nostra … », murmelte Albrecht. « Intentio vera nostra est manifestare ea, quae sunt, sicut sunt.  – Unser Ziel ist es, die Tatsachen so zu erfassen, wie sie sich in Wahrheit verhalten.»
    Kein Hörensagen. Kein Polizeibericht. Kein Vorwissen.
    Er zog die Pforte hinter sich zu. Seine Schritte knirschten über den Kies.
    Euler und sein Team würden die Zugänge noch genauer absuchen. Albrecht ging davon aus, dass Hannah Friedrichs verständig genug gewesen war, Euler anzufordern.
    Hatten sie diesen Weg genommen, der Täter und sein Opfer? Wenn ja: Wie schnell mochten sie sich bewegt haben? Schneller als der Hauptkommissar? War das Opfer um sein Leben gerannt?
    Unwahrscheinlich. Wenn die Tat erst gegen Mitternacht entdeckt worden war, war der Garten mit ziemlicher Sicherheit bereits geschlossen gewesen, als sie verübt wurde. Menschen in einer Notsituation spürten zwar einen atavistischen Impuls, sich nach einem Versteck umzusehen, doch in einer vermeintlich zivilisierten Welt glaubten die allermeisten, dass die Gegenwart anderer Menschen ihre Überlebenschancen erhöhte.
    Jörg Albrecht hatte genug Aufnahmen aus Überwachungskameras an belebten U-Bahnhöfen gesehen, um zu wissen, dass das ein Irrtum war.
    Der Mensch war ein nur äußerst oberflächlich domestiziertes Tier. In einer echten oder auch nur vermeintlichen Gefahrensituation platzte er sehr schnell ab, der dünne Lack der Zivilisation.
    «Sie waren gemeinsam hier», murmelte er. «Oder sie haben sich hier getroffen – durch Zufall, oder weil sie verabredet waren.» Er zögerte. «Oder der Täter ist dem Opfer gefolgt. Nicht in wilder Jagd, sondern heimlich, unbemerkt. Von Schatten zu Schatten.»
    Einmal vorausgesetzt, fügte er gedanklich hinzu, dass es sich beim Fundort der Leiche um den Ort handelte, an dem die Tat begangen worden war.
    Doch selbst wenn der Täter ihn nur aufgesucht haben sollte, um die Leiche abzulegen: Ein Tatort blieb er so oder so.
    Der Weg öffnete sich zu den ersten Anpflanzungen, verzweigte sich. Rechter Hand sah er Lichter, die sich bewegten: seine Beamten, durch Bäume verdeckt und noch ein gehöriges Stück entfernt.
    Albrecht blieb stehen.
    Plötzlich waren Erinnerungen in seinem Kopf. Erinnerungen an Joanna und die Kinder, an die Eisbude an der Stadionstraße.
    Mit einem lautlosen Knurren vertrieb er die Gedanken.
    Er war als Ermittler hier. Nicht als der Familienvater, der er einmal gewesen war. Zwei getrennte Welten.
    Gab es noch mehr, das er herausfinden konnte, bevor er sich mit dem Bild des Tatorts konfrontierte? Warum war es gerade hier geschehen? Warum war von allen möglichen Orten gerade dieser Ort zum Tatort geworden?
    Der Hauptkommissar schüttelte den Kopf.
    Nein. Solange er nichts gesehen hatte, war das Spekulation.
    Langsam ging er weiter, hielt sich in den Schatten. Die Versuchung, für einen Moment zu beobachten, wie Friedrichs den Fall anging, war zu groß.
    Albrecht bemühte sich, keine Unterschiede zwischen seinen Mitarbeitern zu machen. Was die Kommissarin von den anderen unterschied – abgesehen davon, dass sie neben Irmtraud Wegner, der Sekretärin, die einzige Frau auf der Dienststelle war –, war eine bestimmte Mischung aus Sorgfalt und, ja, Phantasie bei der Ermittlung. Die Bereitschaft, sich tatsächlich auf Albrechts Gedanken einzulassen.
    Das Leben hatte sie ihm außerdem gerettet.
    Jörg Albrecht kniff die Augen
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