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Ödland - Thriller

Ödland - Thriller

Titel: Ödland - Thriller
Autoren: Bastei Lübbe
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ungeheuer fröhlich.
    »Mann, der hat aber einen hübschen kleinen Arsch!«
    »Mensch, wir haben einen erwischt!«
    »Na, der wird sein blaues Wunder erleben.«
    Agonie
    ... kurz, ganz Europa ist bestürzt über das Ausmaß der Katastrophe, die nach ersten Schätzungen und wie bereits gemeldet gestern Abend zwei- bis dreihunderttausend Menschenleben gekostet und mehr als fünf Millionen Wohnungen vernichtet hat. In einem Kondolenzschreiben an Königin Juliana II. hat Präsidentin Fatimata Konaté ihrer tiefen Trauer Ausdruck gegeben und dem niederländischen Volk ihr Mitgefühl ausgedrückt ...
    Schlammiges Wasser schwappt bis zum grauen Horizont. Es ist früher Morgen. Vereinzelt ragen Mauern der von dem Tsunami zerstörten Gebäude aus der endlosen Wasserfläche. Schlammige Baumleichen mit abgebrochenen Ästen. Verbogene Schilder, die den Verlauf von Straßen angeben. Eingestürzte Autobahnbrücken. Verhedderte Elektrokabel. Auf dem Wasser schwimmt jede Menge Unrat - Möbelstücke, Plastikzeug, Bücher und Zeitungen. Dinge des täglichen Lebens. Tausende von Tierleichen treiben auf den Fluten. Hin und wieder auch die von Menschen. Nichts bewegt sich, nur das schwappende Wasser. Bis auf die neutrale Stimme des Korrespondenten ist kein Laut zu hören. Am rechten unteren Bildrand erscheint das Logo von Euronews im bräunlichen Wasser.
    Die Familie des Bürgermeisters von Kongoussi sitzt wie gebannt im abgedunkelten Wohnzimmer vor dem alten 16/9-Fernseher. Die Fensterläden sind geschlossen. Draußen herrscht eine Gluthitze. Die Klimaanlage ist defekt, der Ventilator verwirbelt nur heiße Luft. Im Raum ist es mindestens 45 Grad warm. Der Bildschirm, der kurz vor der Überhitzung steht, flimmert von Zeit zu Zeit. Die blaugrünen Bilder der im Wasser versunkenen Niederlande, die seit dem Beginn der Nachrichten ständig wiederholt werden, scheinen für Familie Zebango von einem anderen Stern zu stammen. Mit vor Staunen offenen Mündern nehmen sie die unendlichen Wasserflächen und die tief hängenden Wolken zur Kenntnis, die sich über den Ruinen ausregnen.
    Es ist Félicité, die Jüngste, die als Erste das ausspricht, was alle anderen denken.
    »Mensch, ist das ungerecht! Die Leute dort müssen sterben, weil es zu viel Wasser gibt, und wir haben nicht genug. Sie sollten uns etwas davon abgeben.«
    »Still, Félicité«, schimpft ihre Mutter Alimatou. »Über eine so schreckliche Katastrophe mit so vielen Toten darf man keine Witze machen.«
    Dabei hat Félicité recht, denkt der Vater Étienne. Bei dreihunderttausend Toten in Holland spricht man von einer schrecklichen Katastrophe. Aber von den anderthalb Millionen Toten durch die Trockenheit in unserem Land redet niemand. Burkina Faso ist der Welt völlig egal.
    Als Politiker, der sich über die internationale Situation und deren Folgen für den inneren Zustand seines Landes bewusst ist, kann Étienne Zebango sich denken, welche Konsequenz die Katastrophe in Europa für Burkina Faso haben wird. Man würde viel Geld in den Wiederaufbau der Niederlande stecken, was wiederum eine weitere Kürzung der den ärmsten Ländern der Welt - zu denen Burkina Faso gehört - bereits zugesagten finanziellen Hilfen bedeute. Außerdem würde die geschwächte öffentliche Hand die ONG, die nicht staatlichen Organisationen, zu Hilfe rufen, die dann natürlich unabkömmlich wären, um in Burkina gegen Trockenheit und Malaria zu kämpfen. Die Medien würden sich wie die Geier auf das Katastrophengebiet stürzen und auch in Zukunft das langsame Sterben der Hälfte des afrikanischen Kontinents ignorieren. Kongoussi würde eines Tages im Sandsturm krepieren, aber davon würde nie jemand erfahren.
    Étienne bringt es nicht fertig, die sogenannten »Notsituationen«, die tagtäglich in der ganzen Welt vorkommen - allein der Ausdruck ist schon ein Euphemismus -, nicht am Zustand seiner eigenen Heimat zu messen, am Zustand der Stadt, für die er verantwortlich ist. Der Todeskampf von Kongoussi ist vielleicht nicht spektakulär, aber er schreitet unerbittlich voran. Viele Menschen haben die Stadt verlassen, um im Süden des Landes oder rings um die kümmerlichen Reste des Niger ein Zuhause zu finden, wo es mehr Wasser gibt. Die verbleibende Bevölkerung wird jeden Tag durch Hunger oder Krankheiten, die auf unsauberes Wasser zurückzuführen sind, weiter dezimiert. Malaria, Denguefieber, Durchfälle und Bilharziose grassieren bereits, die Cholera hat die Stadt bisher Gott sei Dank noch verschont.
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