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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel
Autoren: Janne Teller
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Kopf, was er tun musste, damit die Schnüre sich nicht verhedderten. Eine Welle schwappte über den Kiel des Bootes, und Gunnar der Kopf verlor fast das Gleichgewicht. Seine Hand umklammerte fest die Reling der Rikke-Marie.
    »Ich mag nicht segeln«, murmelte er mit aschgrauem Gesicht. »Ich mag überhaupt nicht segeln.«
    Harald Adelstensfostre kletterte in den Korb, und der Fischer Ambrosius reichte ihm Odins Sack mit den Geschenken für die Einwohner von Smedieby und Posthusby. Dann folgte der kleine alte Mann und zuletzt der Fischer. Sie sahen einander an; alles war bereit. Der Fischer Ambrosius gab Gunnar dem Kopf ein Zeichen. Der Mann mit dem riesigen Kopf hob das Küchenmesser, und mit vier schnellen Schnitten zerschnitt er erst die Vertäuungen des Ballons, dann die des Korbs.

     
    Der Ballon fuhr in die Luft und riss den Korb mit einem heftigen Ruck, der seine Passagiere gegeneinander taumeln ließ, von Deck. Die warme Luft trieb den Ballon schnell hoch hinauf, und der Wind, der ihnen unten auf dem Fischerboot nur schwach erschienen war, schlug ihnen jetzt um die Ohren und stieß Ballon und Korb hin und her. Doch plötzlich ergriff der Wind sie richtig, der Ballon bewegte sich ruhig auf die Klippenformationen zu, und der Korb folgte ihm mühelos.
    Sie konnten jede einzelne Verwitterung, jeden Vorsprung und jeden Riss in den alten gefurchten Steinen, die wie Riesen Schulter an Schulter standen, deutlich sehen, aber es war noch immer ein gutes Stück bis zu der ersten Klippenreihe, und plötzlich wechselte der Wind, sie flogen nicht länger nach Westen, sondern in die entgegengesetzte Richtung von der Insel weg nach Nordnorden. Sie wussten sehr wohl, dass es nichts nützen würde, veränderten jedoch das Gewicht im Korb, und der Fischer Ambrosius zog wie verrückt an den Schnüren des Ballons, während er die verlorenen Sekunden zählte. Er sah auf die Sanduhr, eine Minute, zwei, drei. Zwei waren bereits beim Aufstieg verstrichen, und insgesamt hatten sie nur fünfzehn.
    »Das ist nicht gut«, brummte der Fischer bekümmert.
    Odin sah zu dem Ballon hoch, dann legte er die Hand auf das Hufeisen in seiner Brusttasche.
    »Glücklicherweise gibt es kein Unglück, dem ein wenig Glück nicht abhelfen kann«, sagte er und zupfte mit seiner behandschuhten Hand an seinem Bart.
    Ob es das Hufeisen oder etwas anderes war, das den Ausschlag gab, wussten sie nicht, doch in diesem Moment schlug der Wind um, und der Korb wurde langsam, aber sicher zu den Klippen hingetrieben, und im Lauf von nur wenigen Minuten waren sie über den ersten gezackten Spitzen. Die Eisenkugel, die bisher kraftlos unter dem Korb gebaumelt hatte, erwachte plötzlich zum Leben. Sie schwang einige Male hin und her, bevor sie mit einem Knall das Seil zu einer waagerechten Linie spannte und den Ballon – so wie ein Pferd einen Schlitten – zum Zentrum der Insel zog.
    »Es funktioniert! Es funktioniert!«, rief der Fischer Ambrosius.
Der Ballon wurde schneller, und obwohl er sie nicht mehr sehen konnte, winkte er Sigbrit Holland und Gunnar dem Kopf zu, die weit unten auf dem grünen Fischerboot waren, das früher einmal grün-orange gewesen war. Dann trieb der Ballon in den grau-gelben Nebel.
     
    Kostbare Minuten waren durch die Launenhaftigkeit des Windes verloren gegangen, und der Korb flog bereits so niedrig, dass sie die nächste Klippe, an der sie vorbeiflogen, hätten berühren können. Und es war noch weit.
    »Wir müssen Gewicht abwerfen«, rief der Fischer Ambrosius.
    Sie hatten keine Sandsäcke bei sich, denn die warme Luft hatte mehr als genug damit zu tun, sie zu tragen, deshalb zog der Fischer seine schweren Stiefel, seine Rettungsweste und seine Windjacke aus und warf alles über den Rand des Korbs ins Wasser hinunter, das um die Klippenfüße schäumte und toste. Auch Harald Adelstensfostres Stiefel, Weste und Jacke gingen über Bord. Einen kurzen Moment schien es zu helfen. Der Ballon stieg schnell mehrere Meter über die dritte Klippe, aber unmittelbar darauf schrammten sie an der Seite des nächsten Klippenkamms entlang, und weiter vorn türmte sich noch eine hohe Spitze vor ihnen auf.
    »Es tut mir Leid, Odin, aber jetzt sind Ihre Weihnachtsgeschenke dran«, der Fischer entleerte den Sack mit den hübsch verpackten Paketen über den Rand des Korbs in den Nebel.
    Aber es reichte nicht. Mit einem Bums rammten sie die Klippe, die eine Seite des Korbs aufriss, und Odin wurde gefährlich nah an dem Loch auf den Boden
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