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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition)
Autoren: Seanan McGuire
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bin dein Weckruf. Schieb besser nichts vor dir her, denn du wirst nicht mehr lange hier sein.«
    »Ich bin nicht bereit zu sterben!«, protestierte ich. Mein Verstand raste. Was konnte es sein? Kamen Simon und Oleander zurück und beendeten, was sie angefangen hatten? Oder war es viel simpler, so was wie ein besoffener Fahrer, der die Bremse nicht rechtzeitig erwischte? Es gab viele Arten zu sterben, und ich hatte nie wirklich darüber nachgedacht. Ich wusste nur, dass ich jetzt auch nicht darüber nachdenken wollte.
    Todesomen sind beileibe kein Segen, egal was die Leute sagen. Sie machen dich höllisch nervös, und das kann dich glatt umbringen. Vielleicht bin ich ja die Einzige, aber ich verabscheue selbsterfüllende Prophezeiungen. Sie riechen mir zu sehr nach Betrug.
    »Ich weiß nicht viel darüber, wie Leute wirklich denken, denn meine Erfahrungen sind alle von dir geliehen, aber ich bin ziemlich sicher, niemand ist je bereit zu sterben.« May erhob sich von der Couch. Sie bewegte sich mit einer lässigen, mühelosen Grazie, die mich endgültig überzeugte, dass sie kein Doppelgänger war, der eine Nummer abzog.
    Wenn Gestaltwandler eine Person kopieren, kopieren sie sie eins zu eins, mit Körpersprache und allem. Ich habe schon früher Holinge gesehen. Ich hätte auf Anhieb wissen können, was sie war, sobald ich sie sah – wenn ich willens gewesen wäre, es zu glauben. Holinge haben keine Zeit, Kleinigkeiten wie Feinmotorik erst mühsam zu erlernen. Deshalb kommen sie ausgerüstet auf die Welt, sie können sich perfekt bewegen und benehmen. May war aus Fragmenten von mir gemacht, aber sie bewegte sich wie ein Reinblüter: nichts als Feuer und Luft und grenzenlose Eleganz. Sie bewegte sich wie jemand, der ich nie gewesen war und niemals sein würde.
    »Wie auch immer, ich bin hier, um meine Arbeit zu machen«, sagte May und grinste dann, wodurch der würdevolle Ernst sofort verpuffte. »Ich wollte dich bloß wissen lassen, an welcher Angel du hängst, sozusagen. Jetzt, wo du’s weißt, geh ich mal um den Block und teste den chinesischen 24-Stunden-Imbiss. Ich erinnere mich, dass du Hühnchen Kung-Pao magst. Ich will prüfen, ob ich es auch mag.«
    Verwirrt sagte ich das Erste, was mir durch den Kopf ging: »Wenn du Klamotten aus dem Spendencontainer klauen musstest, wie gedenkst du dir dann chinesisches Essen zu leisten?«
    May lachte und tänzelte zur Tür. »Mach dir darum keine Sorgen.« Sie legte die Hand auf die Klinke und hielt dann inne. »Ich bleibe in der Nähe, und wenn die Zeit kommt, werde ich bereit sein.« Dann ging sie pfeifend durch die Tür. Ich konnte beim Pfeifen noch nie den Ton treffen, und sie konnte es auch nicht. Und das machte es ganz plötzlich sehr real. Ich glaubte ihr, aber bis ich meine hoffnungslose Unfähigkeit zu pfeifen aus ihrem Mund vernahm, hatte ich nicht wirklich begriffen, was sie bedeutete. Ich würde sterben. Ich konnte es nicht aufhalten.
    Ich würde sterben.
    Sie drehte sich um und winkte neckisch. Ich nahm einen Teller vom Kaffeetisch und schleuderte ihn in ihre Richtung. Ihre Augen weiteten sich, dann schlug sie die Tür zu. Der Teller flog dagegen und zerschellte.
    » Nein! «, brüllte ich. Es war mir egal, ob sie mich hörte oder nicht. Ich brüllte das Universum an, genauso wie ich sie anbrüllte, zu wütend, um klar zu denken. »Ich werde mich nicht hinlegen und sterben, weil du sagst, es ist Zeit! Verstehst du? Ich weigere mich !«
    Es gab keine Antwort außer dem Geräusch meines eigenen Atems. Die Katzen kamen mit angelegten Ohren aus dem Flur gekrochen und knurrten aus den Tiefen ihrer Kehlen. Spike schlüpfte hinter der Couch hervor und pirschte sich steifbeinig zum Türpfosten, um ihn zu beschnüffeln. Von ihrem Standpunkt aus war die Gefahr gebannt. Jetzt konnten sie rauskommen und demonstrieren, wie tapfer sie waren.
    Ich wünschte mir verzweifelt, ich könnte diesen Standpunkt teilen. Ich war noch nie eine Sicherheitsfetischistin gewesen. Ich wusste, dass ich oft zu viele Risiken einging. Aber bisher hatte ich mir immer wieder versprechen können, dass ich bald damit aufhören würde, dass ich ab morgen ein ruhiges Leben führen und nicht mehr mit dem Feuer spielen würde. Jetzt allerdings sah es so aus, als würde es kein Morgen geben. Das war nicht fair.
    Spike patrouillierte vor der Tür auf und ab und gab einen wütenden Singsang von sich. »Ist es jetzt nicht ein bisschen spät, um den Beschützer zu spielen?«, fragte ich ihn. Er rasselte mit
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