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Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
Autoren: Tricia Rayburn
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auch zwei Dutzend bestellt, um sie im Firmenbüro zu verteilen.
    Jetzt nahm ich mir den Dartmouth-Becher in der Mitte und füllte ihn mit Kaffee. Ohne den Blick vom Boden zu heben, eilte ich mit beiden Tassen durch die Tür zur Hintertreppe.
    Die Hintertreppe war für Justine und mich immer die Fluchtroute gewesen – vor Cocktailpartys, vornehmen Dinners oder manchmal auch streitenden Eltern. Als ich nach oben stieg, dachte ich an das letzte Mal, als wir uns im Schutz der Treppe verborgen hatten, nämlich bei Moms jährlicher Weihnachtsparty. Während zweihundert Gäste Champagner in sich hineinschütteten, hockten Justine und ich auf den Stufen, hatten eine Daunendecke um unsere Schultern gelegt, lutschten an Zuckerstangen und tranken uns mit Eierpunsch einen Schwips an. Wir hatten so getan, als säßen wir nicht mitten in Boston und würden uns vor Moms betrunkenen Kollegen verstecken, sondern als hätten wir uns im Haus am See ohne Wissen unserer Eltern aus den Betten geschlichen und würden atemlos vor Spannung darauf warten, dass Santa Claus durch den alten Kamin gefallen kam.
    Ich stieg langsam die Stufen hoch, umgeben von beruhigendem Dämmerlicht und dunkler Holztäfelung. Ein Gedanke tauchte in meinem Kopf auf, den ich sofort zu verdrängen versuchte. Trotzdem war mir für einen flüchtigen Moment bewusst, wie seltsam es sich anfühlte, hier zu sein … so völlig allein. Die ganze Woche war ich nirgendwo allein gewesen, und erst recht nicht an einem Ort, den ich sonst nur mit Justine geteilt hatte.
    Als ich oben angekommen war, blieb ich stehen und wartete. Nach ein paar Sekunden blinzelte ich und wartete wieder. Nichts. Selbst hier, an einem unserer gemeinsamen Lieblingsplätze, wollten die Tränen nicht kommen.
    Ich ging weiter durch den Flur, und mein Herzschlag beschleunigte sich. In Justines Zimmer war ich nicht mehr gewesen, seit wir uns die Woche davor für die Fahrt nach Maine fertiggemacht hatten und ich zuschaute, wie sie ihren gesamten Kleiderschrank nach dem perfekten Outfit durchsuchte, das sie auf der Reise anziehen konnte. Am Ende hatten Röcke, Sommerkleidchen und Tops den Fußboden bedeckt wie Seetang die Küste bei Ebbe. Jetzt war ich mir nicht sicher, welcher Gedanke mich mehr erschreckte: dass alles noch genauso dalag, wie sie es verlassen hatte … oder nicht.
    Mit geschlossenen Augen drehte ich mich in Richtung ihrer Tür. Ich streckte die Hand aus, bis ich den Türknauf fand. Das Messing fühlte sich unter meinen Fingern kalt an, und ich wartete, bis sich meine Haut an die Temperatur gewöhnt hatte, bevor ich den Knauf richtig umfasste.
    Es ist doch nur Justine, sagte ich mir. Nur ihre Klamotten. Natürlich sieht alles so aus, wie sie es liegen lassen hat, weil Justine nämlich wiederkommt. Bald werden wir zum Haus am See zurückfahren. Dann wird alles so sein, wie es sein sollte.
    Ich öffnete die Tür. Ein leises Geräusch drang über meine Lippen.
    Der Grund waren nicht meine tiefsitzenden Ängste, dieihren Weg an die Oberfläche fanden. Es war nicht einmal die Tatsache, dass Justines Zimmer im Vergleich zum Flur so heiß wie ein Brennofen war.
    Es war das Salzwasser. Der Geruch war so stark, die Luft so voller Feuchtigkeit, dass ich mit meinen geschlossenen Augen fast glaubte, ich würde an der Meeresküste stehen.
    »Man gewöhnt sich daran.«
    Ich schlug die Augen auf. Big Papa saß auf dem Fußboden in der Mitte des Raumes.
    »Anscheinend gibt es ein Problem mit den Rohren. Ich rufe morgen den Klempner an.« Er klang erschöpft und sah auch so aus. Seine Mundwinkel sackten nach unten in Richtung Kinn, seine blauen Augen waren stumpf und seine Schultern gebeugt. Unser bärenstarker Yeti hatte seine Kraft verloren.
    »Big Papa«, sagte ich und trat ein. »Ich weiß, wie schwer das für dich ist, aber wir haben Gäste. Deshalb wäre ich dankbar, wenn du dich wie ein höflicher Gastgeber benehmen könntest.«
    Sein einer Mundwinkel zuckte in die Höhe, als er den Dartmouth-Becher entgegennahm. Er wusste, dass die Wortwahl nicht von mir stammte. »Deine Mutter versucht, die Situation zu verkraften. Wie wir alle.«
    Ich sagte nichts, als ich mich neben ihn setzte. Bis jetzt hatten meine Mutter und ich nie etwas gemeinsam gehabt, außer dass wir Justine anhimmelten. Ich verstand nicht, warum Mom so viel arbeitete, ständig shoppte und sich anstrengte, wildfremde Leute zu beeindrucken. Ich verstand nicht, warum von den hundert Menschen dort unten höchstens ein Dutzend hätte
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