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Obsession

Titel: Obsession
Autoren: Simon Beckett
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vergewisserte sich, dass keiner auf seine Seite gekommen war, und senkte dann den Spiegel.
    Im sicheren Abstand von der Linie aus Stühlen, Mülleimern und Kisten, die er vor dem Fenster aufgestellt hatte, um den möglichen
     Schussbereich der verdammten Scharfschützen zu markieren, ging er hinüber zum Schreibtisch. Er hatte ihn auf die Seite gekippt
     und damit den Teil des Raumes abgetrennt, der außerhalb der Schusslinie lag. Dahinter hatte sich Steven zusammengekauert.
     Der Junge hatte die Augen zugekniffen, die Hände auf die Ohren gepresst und schaukelte vor und zurück. Als er ihn sah, war
     Cole erneut wütend, dass sie ihn zwangen, die Flinte zu benutzen. Er strich über den Kopf seines Sohnes.
    «Schhh, alles in Ordnung. Alles in Ordnung.»
    «Nicht knallen! Nicht knallen!»
    Das Haar seines Sohnes fühlte sich weich und fein an. Sanft zog er ihm die Hände von den Ohren. Steven schüttelte vehement
     den Kopf.
    |404| «Nicht knallen!»
    «Nein, nicht mehr oft.»
    Er hatte noch sieben Patronen übrig. Die letzten beiden würde er dafür verwenden, dass die Arschlöcher ihn und seinen Sohn
     nicht wieder trennen konnten.
    Eine Weile blieb er bei ihm, dann ging er um die Markierung herum zurück zum Fenster und schaute durch den Spiegel nach draußen.
     An der Barrikade war niemand. Er hoffte, dass ein paar von den Bullen dabei draufgegangen waren, als sie zusammenstürzte.
     Er hatte sie so aufgebaut, dass sie schon in sich zusammenfiel, wenn man sie nur schief ansah. Jedenfalls waren sie dadurch
     lange genug aufgehalten worden, als sie kapiert hatten, dass sie ihn nicht mit ihrem Gerede herauslocken konnten. Unten klingelte
     wieder das Telefon, aber er beachtete es genauso wenig wie zuvor. Er kehrte zum Schreibtisch zurück. Steven hatte noch immer
     die Augen geschlossen, aber er schaukelte nicht mehr so heftig. Cole setzte sich auf den Boden und legte ihm einen Arm um
     die Schulter. Dann wickelte er einen Streifen Kaugummi aus, brach ihn in zwei Teile und gab einen Steven. Der Junge kaute
     darauf, ohne die Augen zu öffnen.
    «Sie lassen uns einfach nicht in Frieden», sagte Cole und schaute auf ihn hinab. «Es bleibt keine Zeit mehr. Sie können uns
     einfach nicht in Ruhe lassen.» Er strich seinem Sohn eine Haarsträhne aus dem Gesicht, legte dann seinen Kopf gegen den Schreibtisch
     und schaute durch das Fenster auf den heller werdenden Himmel.
    «Wir waren fast am Ziel. Ich konnte es spüren. Ich bin schon einmal nah dran gewesen, aber so noch nicht. In der Wüste war
     ich ganz nah dran, aber das war mir damals nicht klar. Erst als das mit dir und deiner Mami passiert ist. Es war genau vor
     mir, aber ich konnte es nicht sehen. Da war so |405| viel   ...
kaputt
... dass dir der Atem weggeblieben ist. Es war, als wenn alles genau so sein sollte, als wenn es normal wäre. Aber es war
     zu früh. Dir muss erst selbst was Schlimmes passieren. Du musst selbst fast kaputt sein. Der Schmerz macht alles andere unwichtig,
     und dadurch siehst du klarer. Du musst das erst durchmachen, bevor du erkennst, dass nicht alles Scheiße ist, dass es so was
     wie Glück oder Pech nicht gibt. Alles passt und funktioniert zusammen, wie eine große Maschine. Alles ist ein Teil derselben
     Sache, alles ist ein Teil des Systems.»
    Er verstummte und neigte lauschend den Kopf. Draußen war es völlig still geworden. Er wandte sich wieder an Steven.
    «Für alles gibt es einen Grund», fuhr er fort. «Dieser Grund, das ist das System. Du musst es nur sehen können. Die Wissenschaftler
     sagen, dass alles aus dem gleichen Stoff gemacht ist, aus diesen kleinen   ... diesen kleinen Teilchen. Immer wenn sie glauben, sie hätten herausgefunden, was das kleinste Teilchen ist, merken sie,
     dass es ein noch kleineres gibt. Das heißt also, dass du, ich, der Boden, der Schreibtisch hier, dass alles miteinander verbunden
     ist. Und wenn alles miteinander verbunden ist, dann ist alles, was mit einem Ding oder einem Menschen passiert, selbst wenn
     er auf der anderen Seite der Welt ist, ein Teil des Ganzen. Ein Teil von uns. Es hat eine Auswirkung auf uns, auch wenn wir
     es nicht wissen. Die ganze Zeit   ...»
    Er runzelte die Stirn und verschränkte seine gespreizten Finger.
    «...   die ganze Zeit findet diese
Verzahnung
statt. Alles greift ineinander. Solange das System im Gleichgewicht ist, ist alles okay. Aber manchmal bist du nicht mehr
     im Einklang damit und dann   ...», er ballte beide Hände zu einer |406|
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