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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser
Autoren: Jörg Maurer
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Ras-el-Hanout-Variationen, die einem auf Schritt und Tritt entgegenwehen, werden schon in den Märchen aus Tausendundeiner Nacht beschrieben. Dann der marokkanische Geräuschpegel: Schallendes Gehämmere der barfüßigen Kesselflicker, vermischt mit dem hellen Klopfen der Steinmetze, die ihre Marmortafeln bearbeiten, so wie unsereins eine E-Mail ins Notebook tippt. Muezzine, Feuerspucker, Kamelflüsterer, Zuckerbäcker – alles Kulisse? Natürlich ist alles Kulisse, kein Wort ist echt, kein Blick ist das, was er scheint, aber hier, auf dem Markt von Fès el-Bali ist die Inszenierung schon in Ordnung. Ein Kurort bleibt eben ein Kurort. Manche sagen, Fès el-Bali sei das Garmisch-Partenkirchen Nordafrikas. Sie haben recht, aus vielen Gründen. Und dann natürlich die Gesprächsfetzen, die man aufschnappt. Wenn man Glück hat, hört man auch ein junges, hellauflachendes »« durch den heiseren Nebel der Händler und Schlangenbeschwörer hindurch.
     
    Daskam von einem strohblonden Jungen, der einen Stadtplan von Fès auffaltete.
    »«, erwiderte das Mädchen und biss in ein Stück Mandelkuchen.
    Der Junge hieß Dirk, das Mädchen hieß Tina, sie kamen beide aus einer westdeutschen Kleinstadt, sie machten mit drei anderen ehemaligen Schulkameraden Urlaub hier in Fès. Das Abitur lag knapp hinter ihnen. Dirk hatte in Mathe gerade mal fünf Punkte geschafft, trotzdem war er, wie die anderen, guter Dinge. Er hatte sogar den passenden Spruch dazu erfunden.
    »Knapp drin ist auch getroffen.«
    Dirk, die Mathe-Niete faltete die unbrauchbare Straßenkarte wieder zusammen und ließ den Blick über das Gewusel auf dem Marktplatz schweifen. »Richtig derb hier«, sagte er und nickte voller Anerkennung.
    »Derbst«, bestätigte Tina. »Da schau mal, da drüben, die Hoddles. Jeder mit einem Teppich unterm Arm.«
    Eine Busladung unverkennbarer Engländer hatten sämtliche
    40 -mal- 80 -Zentimeter-Badteppiche in Fès und Umgebung aufgekauft.
    »Und wie gebamboozled die schauen!«, griente Fuzzy und hieb sich parodistisch auf den Oberschenkel. »Die glauben alle, sie hätten das Geschäft ihres Lebens gemacht.«
    Fuzzy, Tina, Dirk, Flo und Oliver schlenderten fröhlich feixend über den kleinen Platz der Schreiber, Geschichtenerzähler und Profilügner. Sie hatten alle noch keine klaren Zukunftsvorstellungen. Fuzzy wollte vielleicht Mediziner werden, Zahnmediziner, Tiermediziner, plastischer Chirurg, keine Ahnung, ein Studienplatz war noch nicht in Sicht. Vielleicht was im Ausland, vielleicht Genua oder Berkeley, mal sehen.
    »Sicher gibts hier in Fès auch eine Uni«, sagte Dirk.
    »wwwPunktMüdesLachenPunktde«, entgegnete Fuzzy. »Eine permanente Hitzefrei-Uni mit Kursen in Wegschmelzen und Auflösen.«
    Er griff in die Hosentasche, um sein Mobiltelefon herauszufingern. Doch da steckte keines. Da steckte nur eine Tüte, aus der feuchte, klebrige Datteln herausgefallen waren. »Heatmäßig heißer Scheiß«, murmelte Fuzzy.
    »Sind gar keine Engländer, sind wahrscheinlich Schweizer, die Hoddles«, sagte Flo.
    Flo wusste nicht einmal im Ansatz, was er die nächsten sechzig Jahre machen wollte. Irgendetwas Künstlerisches oder was Soziales. Vielleicht auch Maschinenbau.
    »«, rief Tina den anderen fröhlich zu. Sie wiederholte es nochmals, sie war auf ihre Aussprache sehr stolz, denn es klang so arabisch, dass sich ein einheimischer Gewürzhändler verdutzt umdrehte. Sie alle hatten im letzten Schuljahr einen Wahlkurs Arabisch belegt, aus einer Laune heraus. Nach ein paar Stunden hatten sie allerdings aufgegeben. Niemand von ihnen war auch nur in die Grundzüge des kehligen Pressens und gutturalen Knackens dieser wüstensandumwehten Sprache eingedrungen, keiner konnte auch nur ein einziges Fuzzelchen Arabisch, der Kurs war völlig für die Katz gewesen, das hatten sie gleich beim Grenzübertritt festgestellt. So hatten sie sich bemüht, wenigstens dieses eine Wort(»Rhabarber«) richtig auszusprechen und damit so zu tun, als ob sie Sätze bildeten. Auf dem Campingplatz hatten sie damit ein Pärchen aus Uelzen zum Narren gehalten und ihnen weisgemacht, sie sprächen Arabisch. »wwwPunktVerarschePunktde«, hatte Fuzzy gesagt, als das Pärchen abgereist war.
    »Wenn schon, dann wwwPunktVerarschePunktma«, hatte Oliver eingeworfen.
     
    Oliver Krapf war der Stillste der jungen Urlauber. Er war auch der mit dem besten Notenschnitt (Einskommaeins, zum Nullmannsdorfer hatte es nicht ganz gereicht, weil er in Biochemie Polymethylester und
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