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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser
Autoren: Jörg Maurer
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verschränkte die Hände vor der Brust. »Und nun zum Fall selbst. Es gibt eine Vermissung mit Mordverdacht, die darüber hinaus staatliche Interessen berührt. Normalerweise ist das BKA dafür zuständig. Aber man hat sich an höherer Stelle dazu entschlossen, die Ermittlungen Ihrem Team zu übertragen, nicht zuletzt wegen Ihrer ausgezeichneten Ortskenntnisse im Raum Werdenfels –«
    Er machte eine bedeutungsvolle Pause.
    »- und auch wegen Ihrer sonstigen fachlichen Qualifikationen und Leistungen«, fuhr er fort und setzte dazu ein mikroskopisch feines Lächeln auf. Das war so etwas wie eine Belobigung. Alle nickten ein mikroskopisch kleines Danke. Doch sie hatten zu früh genickt, denn Dr. Rosenberger stand jetzt auf. Regel aus der Arbeitswelt: Wenn ein Chef nach einem Lob aufsteht, ist immer etwas faul.
    »Ganz nebenbei gesagt«, fuhr er fort, »haben Sie alle bei den letzten Fällen ein paar Dienstvorschriften verletzt. Jeder von Ihnen. Sie haben jetzt Gelegenheit, diese Scharten auszuwetzen.«
    »Ich nehme die rote Pille«, sagte Jennerwein. Alle lächelten, nur Stengele, der Naturbursch und Bergfex, schüttelte verständnislos den Kopf.
    »Die rote Pille?«
    »Aus dem Film
Matrix
. Das Einverständnis, die andere, unbekannte Welt kennenzulernen. Nicht gesehen?«
    »Nein, nicht gesehen, aber ich mache mit.«
    »Ich spreche hier von ernsten Dingen«, sagte Dr. Rosenberger leise. Maria hatte das Gefühl, dass er es fast traurig sagte. Der Oberrat war als nüchterner Kriminologe bekannt, der brillante Vorlesungen an der Polizeischule hielt. Er war weniger der Praktiker des Polizeialltags, mehr der Analytiker und Kriminalhistoriker, der schon einige diesbezügliche Bücher veröffentlicht hatte. Warum berührte ihn dieser Fall so? Warum zeigte er Nerven? Dr. Rosenberger setzte sich wieder.
    »Es gibt im Werdenfelser Land in letzter Zeit verstärkte Hinweise auf organisiertes Verbrechen. Ich erzähle Ihnen vermutlich nichts Neues: Der Talkessel eignet sich ideal dafür, etwas zu verstecken, zu vertuschen, zu schmuggeln, etwas verschwinden oder unter den Tisch fallen zu lassen. Die Flucht- und Rückzugsmöglichkeiten sind ideal, das Gelände ist unübersichtlich und mit den üblichen polizeilichen Mitteln nicht vollständig zu kontrollieren. Die Bevölkerung ist manchmal stur und durchaus auch einmal geneigt, der Gegenseite zu helfen. Dazu kommt noch die nahe Grenze zu den unberechenbaren Österreichern.«
    Dr. Rosenberger stand auf und setzte sich aufs Fensterbrett. Merke: Wenn sich ein Chef aufs Fensterbrett setzt, kommt ein längerer historischer Vortrag.
     
    »Es gibt einen alten Handelsweg zwischen Mittel- und Südeuropa, der durch das Werdenfelser Tal führt. Bereits die alten Römer benutzten ihn, später die Fugger, dann Schmugglerbanden und andere zwielichtige Organisationen. Schon Cicero berichtet über Schlupfwinkel im Loisachtal, andere Geschichtsschreiber äußern sich ähnlich darüber. Graf Perchtold von Eschenloh zum Beispiel errichtete im Jahr 1293 in der Burg Werdenfels ein eigenes Lager für beschlagnahmte Diebesware –«
    In den Weiten ferner Galaxien verglühten Sonnen, auf der Erde entstanden neue Kulturen und Imperien, ganze Weltreiche blühten auf und gingen wieder unter, Jahrhunderte vergingen, neue Lebensformen entwickelten sich – und Dr. Rosenberger saß immer noch dort auf der Fensterbank und hielt einen Vortrag über die Kriminalgeschichte des Werdenfelser Landes.
    » – die Republik Venedig unterhielt bis ins Jahr 1679 einen eigenen Markt in Mittenwald, auf dem auch Soldaten angeworben wurden –«
    Und da entkam Maria Schmalfuß doch ein klitzekleiner Räusperer, ein winziges Zeichen der Ungeduld.
    »Ja, ich weiß schon«, sagte Dr. Rosenberger und hielt mitten im Satz inne, »meine Ausführungen sind manchmal ein wenig zu detailliert –«
    »Aber nein, überhaupt nicht«, sagte Maria, jetzt wieder eine Spur zu interessiert. Es entstand eine peinliche Pause, Jennerwein sprang in die Bresche.
    »Ich denke, wir wissen, worauf Sie hinauswollen, Herr Oberrat. Vielleicht greifen die jetzigen Täter wieder auf alte Strickmuster zurück.«
    Maria lächelte ihn dankbar an. Jennerwein bemerkte es nicht, aber Dr. Rosenberger hatte es gesehen und lächelte seinerseits.
    »Danke für die Zusammenfassung«, sagte er milde. »Kommen wir zur Gegenwart.«
    »Ich habe mich ebenfalls mit dem Thema beschäftigt«. fuhr Jennerwein fort. »Heutzutage werden Auftragskiller in
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