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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne
Autoren: Evelyn Heeg
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soll. Ein Zielbereich voller euphorisierter Menschen. Tino schnappt sich mein Rad, er hat sein Bike bereits bei Freunden geparkt. Ich tappe einfach hinterher. Auch hier ist überall ein großes Hallo, Glückwünsche und und und. Mir ist aber nicht nach Heldengeschichten. Ich muss erst mal auf mein Handy schauen. Ich verdrücke mich kurz und befreie das Handy von Plastiktüte und Schutzhülle. Drei Anrufe in Abwesenheit. Da sind die Kurzmitteilungen, ich mache die letzte auf, Jörg hat sie geschrieben: »Oma ist gestorben.«
    Die anderen muss ich gar nicht mehr lesen.

    Der Schlossplatz in Stuttgart, mitten im Trubel der Fußballweltmeisterschaft. Public Viewing ist angesagt. Es herrscht fröhliche Ausgelassenheit. Wir sind ziemlich überfordert, das hatten wir völlig vergessen. Irgendjemand ruft uns hinterher: »Hey, ihr seht ja aus, als ob ihr auf einer Beerdigung wärt!« Das trifft es ziemlich genau, denn da kommen wir gerade her.
    Wir finden einen Platz in einem Straßencafé. Ein junger gutaussehender Kellner, vermutlich ein Student, kommt und wir bestellen uns zwei Cappuccino.
    Ich bin voll von den Bildern der Trauerfeier. Es gab so viele schöne Blumen. Und viele Menschen waren da gewesen, die mit uns von Oma Abschied genommen haben. Einige hatte ich ewig nicht mehr gesehen. Es war schön, meine ganzen Cousinen und Cousins zu treffen, auch wenn der Anlass ein anderer hätte sein können. Meine Schwester war mit dem Zug nach Stuttgart gekommen und hatte sich auf dem Weg zum Friedhof prompt verlaufen. Per Handy haben wir sie mit vereinten Kräften zum Ziel gelotst. Typisch Anette. Oma hätte sich köstlich darüber amüsiert.
    Ich bin froh, dass die Beerdigung rum ist. Es war ein schöner Gottesdienst, auch mein Bruder hat ein paar Worte gesprochen. Das fand ich richtig stark. Ich habe mir das nicht zugetraut. Aber Jörg hat es gut gemacht.
    Wir alle waren sehr traurig, klar. Aber irgendwie ist es auch gut so. Oma wusste, dass ihre Zeit zu Ende geht. Sie lag seit einiger Zeit in der Klinik in Stuttgart, denn nach der Mallorca-Reise ging es ihr plötzlich rapide schlechter. Wir hatten noch überlegt, ob wir überhaupt zu unserem üblichen Zelturlaub an Pfingsten aufbrechen sollten, und haben mehrmals angeboten, zu Hause zu bleiben. Schließlich hat sie mir kurzerhand für zwei Wochenenden Besuchsverbot erteilt, damit wir nicht auf den Urlaub verzichten. Auch eine Lösung.
    Und dann rief Oma mich am Gardasee an, sie telefonierte aus dem Krankenhaus. Dieser Anruf war für mich der beste Hinweis, dass es zu Ende geht. Das war völlig untypisch für sie. Erstens weiß sie, dass das Telefonieren ins Ausland und aufs Handy richtig viel kostet. Außerdem lag sie im Krankenhaus, wo das Telefonieren schon an sich teuer ist. Wir sprachen sehr lang miteinander. Ich hatte den Eindruck, dass sie mir ein paar Lebensweisheiten mitgeben wollte.
    Sie war jetzt fast ein Vierteljahr ständig im Krankenhaus gewesen und hat immer weiter abgebaut. Selbst wenn sie sich noch einmal berappelt hätte und nach Hause gekommen wäre, wäre nichts mehr gewesen wie vorher. Sie hätte nie und nimmer ihren Haushalt bewältigen können. Mal ganz abgesehen von den vielen Treppen im Haus.
    Ich bin fest davon überzeugt, dass es so für Oma das Beste war. Und auch wenn das für mich furchtbar traurig ist und sie mir wahnsinnig fehlen wird, ist es ein tröstlicher Gedanke. Oma hat ihre Zeit gehabt, sie hat sie genutzt und mir viel gegeben. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar.
    Der Schlossplatz liegt in der strahlenden Sonne, einige Fans ziehen singend und Fahnen schwingend vorbei. Der Kellner bringt uns unsere Getränke.

NACHWORT
    Die Zahl der an Brustkrebs erkrankten Frauen in Deutschland steigt weiter an. Die Neuerkrankungsrate liegt mittlerweile bei über 57.000 Frauen pro Jahr. Bei jeder zwanzigsten Frau ist eine genetische Veränderung (Mutation) in einem der beiden Hochrisikogene BRCA1 oder BRCA2 für die Erkrankung verantwortlich. Während in der Allgemeinbevölkerung eine von zehn Frauen im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkrankt, trifft die Erkrankung rund sieben von zehn Frauen mit einer Mutation. In diesen Familien sind meist auch mehrere Frauen betroffen, und die Erkrankung tritt häufig bereits in jungen Jahren, manchmal schon vor dem dreißigsten Lebensjahr auf.
    Die beiden Hochrisikogene BRCA1 und BRCA2 wurden in den Jahren 1994 und 1995 entdeckt. Mutationen in den Genen werden statistisch gesehen an fünfzig Prozent der
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