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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne
Autoren: Evelyn Heeg
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dem Schmoll-Trip. Während die Mutter eine enorme Aufgeräumtheit an den Tag legt und die schlechte Laune der Tochter entweder nicht bemerkt oder ignorieren will. Die beiden gehen uns sofort mächtig auf die Nerven. Eigentlich erwarten sie den Professor, aber es hat mal wieder angefangen, nach Kräften zu schneien. Der Running Gag in München in diesem Frühwinter. Um die Landeshauptstadt herrscht Verkehrschaos, eine Schwester schaut herein und teilt uns mit, dass der Professor im Stau feststecken würde.
    Als er dann mit anderthalb Stunden Verspätung endlich auftaucht, muss ich das Feld räumen und finde mich draußen mit der Mutter an dem kleinen Tisch auf dem Gang wieder. Sie ist jetzt auf 180 und regt sich auf wegen der Verspätung, aber ich zucke nur mit den Schultern. Was hätte Professor Feller denn machen sollen bei dem Wetter, mit dem Hubschrauber einfliegen?, denke ich mir. Der Anästhesist kommt vorbei und fragt die Mutter der Patientin, ob das Geld für die Narkose schon bezahlt worden sei. Sie ist entrüstet, natürlich sei der Betrag überwiesen worden, aber der Arzt bleibt ungerührt. Als er wieder weg ist, beginnt sie auf den Anästhesisten zu schimpfen. Mir wird das langsam zu blöde, und ich mache mich bei der nächsten Unterbrechung im Redeschwall aus dem Staub. Schließlich wird die Tochter in den OP-Saal gefahren, und die Mutter dampft mit ihr ab. Wir haben wieder unsere Ruhe.
    Evelyn berichtet, dass die Frau zum Fettabsaugen gekommen ist. Der Professor hat sie gerade angezeichnet. Wie Evelyn es verstanden hat, ist es eine Art Weihnachtsgeschenk für die Tochter. Es ist zudem nicht das erste Mal, dass sie sich dieser Prozedur unterzieht.
    »Krass, schon so jung zum zweiten Mal Fett absaugen!«, sage ich.
    »Ja, aber ich hatte eher den Eindruck, dass hauptsächlich ihre Mutter das wollte.«
    Die Abschlussvisite bei Evelyn fällt kurz aus. Die Nachsorgetermine sind klar, und bis zur Brustwarzenrekonstruktion dauert es ja noch einige Monate. Wir verabschieden uns von Professor Feller, den Assistenzärzten und den Schwestern, und dann geht’s nach Hause. Endlich.

ES IST SCHÖN GEWORDEN
    Dezember 2005

    Der dicke Wintermantel lagert im Schrank auf dem Dachboden. Ich mache mich also auf den Weg nach oben. Da ist es bitterkalt. Ich schiebe mich vorsichtig vorbei an Kisten und Regalen, um nur nirgends anzustoßen. Geschafft, da ist der Schrank. Nur die Schranktür klemmt mal wieder. Die Holztür läuft in einer Holzfuge beziehungsweise läuft eben nicht. Wenn sie mal wieder nicht läuft, hilft am ehesten Gewalt. Mit dem Nachteil, dass sich die Schranktür dann ruckartig öffnet. Von daher fällt die Problemlösung heute aus. Ein plötzliches Öffnen würde sicherlich zu Schmerzen führen. Und die habe ich sowieso schon. Alle weiteren Erschütterungen würden wahrscheinlich noch mehr wehtun. Ich war nach dem Wochenende direkt bei meinem Hausarzt, damit er vor den Weihnachtsfeiertagen nochmal die Narben begutachten konnte. Er war alles andere als begeistert, als er von den Schmerzen hörte. Er vertritt die Auffassung, dass sie die Heilung verzögern, und außerdem drohen chronische Phantomschmerzen, wenn ich nicht bald schmerzfrei werde. In der Brust und am Po sind sowieso nicht mehr viele intakte Nerven. Von daher müsste ich auch schmerzfrei sein. Wenn ich es nicht bin, muss man die Nerven schnell davon überzeugen, dass da nichts ist, sonst gewöhnen sie sich sozusagen daran, Schmerz zu funken. Klingt logisch. Doch davon war im Krankenhaus nie die Rede. Von daher meinte mein Hausarzt, dass ich so viel Medikamente nehmen soll, dass ich schmerzfrei bin. Aber mehr als die Höchstdosis traue ich mich im Augenblick nicht. Ich habe jetzt schon manchmal den Eindruck, etwas neben der Spur zu sein.
    Ich stehe ratlos im Halbdunkel des staubigen Dachbodens. Wie kann ich jetzt den Schrank öffnen? Ich trete leicht mit dem Fuß gegen die Schranktür – in der Hoffnung, dass sich die Verkantung löst. Tatsächlich, es klappt. Aber da wartet schon das nächste Hindernis. Der Mantel liegt ganz unten. Bücken ist im Augenblick definitiv nicht meine Stärke. Inzwischen kann ich mir gerade so die Schuhe selbst binden, aber wenn Tino es macht, habe ich auch nichts dagegen. Ich denke kurz nach, starte einen zaghaften Versuch, in die Knie zu gehen, den ich schnell wieder abbreche: Nein, das ist nix für mich. Enttäuscht tappe ich nach unten. Schon wieder um Hilfe bitten. Ich weiß ja, dass es für Tino eine Sache von
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