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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne
Autoren: Evelyn Heeg
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Winter. Obwohl: Es ging dann doch ziemlich schnell aufwärts. Nach Weihnachten hat mich mein Hausarzt mit härteren Schmerzmitteln versorgt, eben bis die Schmerzen weg waren. Das waren ein paar Tage, an denen ich mich ziemlich high gefühlt habe. Nach wenigen Tagen konnte ich die Dosierung dann wieder herunterfahren, und die Schmerzen verschwanden dauerhaft. Klar, ab und an ein Ziehen bei einer falschen Bewegung, aber eben nicht dieser Dauerschmerz. Dazu gab es viel Lymphdrainage und Krankengymnastik. Ende Februar war ich dann wieder einsatzbereit für die Schule. Es hat richtig gutgetan, endlich wieder zu arbeiten. Natürlich war es sehr spannend für mich, denn schließlich war ich an einer neuen Schule. Alles war ungewohnt: Räumlichkeiten, Chef, Kollegen, Schüler. Aber alle haben sehr nett reagiert, und ich fühle mich dort seither sehr wohl. Das Gefühl, wieder vor einer Klasse zu stehen, war kurz befremdlich. Aber nach einigen Tagen kam die Sicherheit zurück, und es hat riesigen Spaß gemacht, neue Schüler und Klassen kennenzulernen. Einfach wieder mit den Jugendlichen zusammen zu sein, ist sehr schön. Natürlich sind sie anstrengend, aber auch unglaublich erfrischend und voller Energie.
    Überhaupt merke ich keinen großen Unterschied zu vor den Operationen. Körperlich, versteht sich. Die Tatsache, dass ich kein Gefühl mehr in den Brüsten habe, behindert mich nicht. Selbst beim Sex nicht. Die Brust als erogene Zone fällt natürlich aus. Das finden wir beide schade. Damit müssen wir halt leben. Durch den Eingriff wurden die Nerven durchtrennt. Nervenzellen können sich regenerieren, aber sie wachsen ganz langsam. Es kann Jahre dauern, bevor da etwas Gefühl zurückkommt. Wenn es denn überhaupt passiert. Aber die Hoffnung besteht. Immerhin kann ich bei Berührung mit kaltem Wasser etwas Gänsehaut auf dem Busen erkennen. Da ist vielleicht noch Potenzial. Wenn ich nicht noch lange in Kompressionshosen rumgelaufen wäre, hätte ich es sicherlich oft ganz vergessen, dass ich brustamputiert bin. Erst vor zwei Monaten konnte ich dieses neckische Kleidungsstück endlich weglassen. Immerhin hat es mir den Winter über warme Oberschenkel verschafft.
    Mental fühle ich mich definitiv viel besser. Der Kopf ist tatsächlich frei geworden, wie Professor Feller das bei unserem ersten Gespräch versprochen hat. Die Ängste, das Gefühl des Krankseins – alles verschwunden. Ich kann endlich wieder lachen. Im Herbst wartet die Brustwarzenrekonstruktion auf mich, aber nach den beiden Eingriffen ist das wohl eher ein Spaziergang. Dann wird ambulant aus dem Ersatzgewebe eine Brustwarze geformt und anschließend in einer Art Tätowierung eingefärbt. Genaueres weiß ich auch nicht. Klar, es wird mich alles noch ein bisschen beschäftigen, es werden auch noch ein paar Arztbesuche kommen, die sicher keine reine Freude werden. Trotzdem löst das alles nicht mehr diese Ängste aus.
    Die erste Untersuchung nach den Operationen war nochmal schwierig. Immerhin ging es um die Frage, wie viel Brustgewebe stehen geblieben ist. Also eine Art Qualitätskontrolle. Im Vorfeld hatte Frau Professor Schmutzler ja schon berichtet, dass es da durchaus Unterschiede gibt. Und je mehr Brustgewebe übrig ist, desto höher ist das Risiko, dass sich in diesem Restgewebe doch noch ein Tumor bildet. Aber auch hier hat Professor Feller beste Arbeit geleistet. Es steht nur noch etwa ein Millimeter, das ist das optimale Ergebnis. Nur die Information, dass die Brüste nicht mehr ganz so schön geformt sein werden, sobald die Schwellung nachlässt, war eine Enttäuschung bei meinem ersten Besuch in Köln.
    Natürlich gibt es Tage, an denen ich vor dem Spiegel stehe und so manches auszusetzen habe. Aber wenn ich mir dann klarmache, was der Preis für einen Brusterhalt gewesen wäre, treten die kleinen optischen Mankos, die ein Fremder nicht mal sehen würde, wieder komplett in den Hintergrund. Natürlich sind es nicht mehr meine ursprünglichen Brüste, obwohl es meine Haut ist und auch mein Fettgewebe. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Und dass ich dann manchmal überkritisch bin, ist sicher auch verständlich. Trotzdem finde ich das Ergebnis weiterhin schön, und ich habe die Operationen noch nie bereut. Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, dass mir dadurch ein zweites Leben geschenkt worden ist.
    Um mich herum steigt der Nervositätspegel weiter an. Nur noch ein paar Minuten bis zum Start. Weiterhin werden überall Trainingskilometer ausgetauscht,
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