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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne
Autoren: Evelyn Heeg
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nicht so recht, was ich eigentlich von ihm wollte. In der Stadt hatte ich noch einiges zu besorgen für das Schullandheim. Sollte ich vielleicht besser direkt heimgehen? Aber was sollte ich zu Hause? Ich entschied mich, zumindest das Notwendigste noch zu besorgen. Daheim angekommen, rief ich dann doch meinen Vater im Büro an.
    »Papa, kommen wir denn auch ins Heim, wenn Mama stirbt?«
    Meinen beiden unglücklichen Cousinen war es so ergangen, als meine Tante vor einigen Jahren als Erste gestorben war und ihr Mann sich nicht um die Kinder kümmern konnte. Er ist Krankenpfleger und muss regelmäßig Nachtdienste machen. Die Mädchen waren zu jung, um ständig allein zu sein. Mein Vater verneinte die Frage nach dem Kinderheim. Später, ich weiß nicht mehr in welchem Zusammenhang, erklärte er mir dann, dass ich auf jeden Fall ins Schullandheim gehen könnte, er würde mich abholen, wenn Mama tatsächlich in der Woche sterben würde. Er sagte mir, dass ich es später bereuen würde, wenn ich an der Beerdigung nicht dabei wäre. Der Gedanke war mir völlig fremd, und ich fand es eher peinlich den anderen gegenüber, wenn er mich deshalb früher abholen würde. Überhaupt war das alles befremdlich.
    Ich war dann die komplette Zeit im Schullandheim, denn meine Mutter starb ausgerechnet am Tag meiner Rückkehr. Es war um die Mittagszeit. Wir fuhren mit dem Bus an einem Ferienort vorbei, in dem ich mit meinen Eltern schon zum Skifahren gewesen war. Im Bus herrschte die übliche ausgelassene Stimmung. Aber ich wollte plötzlich nur noch meine Ruhe. Ich verzog mich in den hintersten Winkel und starrte aus dem Fenster. In Göppingen wartete mein Vater mit meinem Bruder auf mich. Zu Hause gab es Berliner, obwohl es schon Zeit zum Abendessen war, und die Haushaltshilfe war auch noch da. Das alles machte mir klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Als mein Vater dann sagte, dass Mama heute gestorben war, wollte ich als Erstes wissen, ob ich am nächsten Tag trotzdem auf den Geburtstag einer Freundin dürfte. »Du darfst all das weiter tun, was dir Spaß macht«, sagte mein Vater daraufhin.

    Sobald es etwas wärmer wird, herrschen in unserem Hinterhof Zustände wie auf einem Campingplatz am Gardasee. Wir wohnen in einem Viertel mit schönen Häusern aus der Gründerzeit, vier Stockwerke hoch, umschließen sie einen weiträumigen und sehr grünen Innenhof mit vielen Bäumen und anderem Grünzeug. Beherrscht wird das alles von einer riesigen Tanne, die in der Mitte zwischen den Häuserreihen in den Himmel ragt. Sie ist eine Art großer Vergnügungspark für die Vögel unserer Straße, und besonders morgens dringt ein fast ohrenbetäubendes Gezwitscher aus ihren mächtigen Ästen.
    An warmen Abenden sitzen dann überall die Leute auf den Terrassen und Balkonen und grillen oder essen einfach nur zu Abend. Irgendwo ist meistens eine kleine Party oder eine gesellige Runde, und Gelächter schallt durch die Häuserschlucht. Unser Schlafzimmer liegt eigentlich »ruhig« zum Hinterhof hinaus, aber an lauen Abenden können wir manchmal nur schlecht einschlafen vor lauter Trubel. Heute Abend ist es aber tatsächlich ruhig, nur ab und an weht etwas Stimmengemurmel zu uns hoch. Ich bin schläfrig, aber mir geht noch viel durch den Kopf. Ich möchte definitiv nicht nach Ulm in ein Zentrum für familiären Brustkrebs, die Erinnerungen daran sind für mich zu bedrückend. Bonn klingt gut. Meine Schwester studiert seit kurzem in Bonn, sodass ich einen Termin im Brustzentrum gleich mit einem Besuch bei ihr verbinden kann. Um quasi das Unangenehme mit etwas Angenehmem aufzuwiegen. Tino hat mir den Ausdruck auf den Schreibtisch gelegt, ich werde diese Woche mal dort anrufen. Irgendwann muss ich mich dem ja stellen.

DANN BIN ICH AN ALLEM SCHULD
    Die Frau am anderen Ende der Leitung hat einen rheinischen Akzent und ist nett. Nach längerem Hin und Her finden wir ein Datum in den Pfingstferien. Arzttermine sollten bei mir am besten in den Ferien liegen. Wenn mir ein ganzer Schultag durch einen Arzttermin verloren geht, wird es noch unwahrscheinlicher, den Stoffverteilungsplan zu bewältigen. Damit plane ich die Themen, die ich über das Schuljahr behandeln muss. Ich hätte früher nie gedacht, dass man als Lehrer so unter Druck steht, die Stofffülle zu bewältigen. Einen Unterrichtsausfall will ich also um jeden Preis vermeiden.
    Außerdem möchte ich ja auch die Pflicht mit dem Angenehmen verbinden und meine Schwester in Bonn besuchen. Seit zwei
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