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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne
Autoren: Evelyn Heeg
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Semestern studiert sie dort Lebensmitteltechnologie. Irgendwie sind wir alle nach unserer Mutter geraten, zumindest was das Fachliche angeht, denn auch mein Bruder ist Naturwissenschaftler. Mama war Lehrerin für Mathematik und Biologie.
    Wenige Tage später liegt ein Brief des Zentrums für familiären Brustkrebs im Briefkasten. Neben der Terminbestätigung bitten sie mich, alle erdenklichen Daten über meine sämtlichen verstorbenen Familienmitglieder zu sammeln: Krankheitsbeginn, Diagnose, Art und Orte der Behandlung, Todesdatum und so weiter. Diese Daten sind zwar für den Gentest unerheblich, dienen aber der Forschung. Ehrlich gesagt wird darüber in unserer Familie so wenig geredet, dass ich nur ganz wenig weiß. Also muss ich Oma fragen. Das wird nicht einfach. Ich weiß nicht so recht, ob sie die Gentesterei mit ihrem Glauben vereinbaren kann. Oma ist katholisch, und der Glaube bedeutet für sie sehr viel. Im Prinzip wäre es schon ein sehr großer Eingriff in das Schicksal. Ob ich ihr das so einfach erklären kann?

    »Ich werde mich in einem speziellen Zentrum für familiären Brustkrebs untersuchen lassen, Oma. Ich habe einiges gelesen und bin mir fast sicher, dass bei uns in der Familie der Brustkrebs vererbt wird. Die Mediziner sind inzwischen so weit, dass sie testen können, ob eine erbliche Belastung vorliegt. Wenn sie herausfinden, dass ich auch davon betroffen bin, kann man vorsorgliche Maßnahmen treffen. Man kann da testen lassen, ob ich auch die erbliche Belastung habe.«
    »Wie soll das funktionieren?«
    »Es wird Blut untersucht, um zu sehen, ob es bestimmte Merkmale trägt«, erklärte ich ihr stark vereinfacht. »In unserer Familie kann es sein, dass alle das gleiche Merkmal tragen.«
    »Dann bin ich also an allem schuld!«
    Wie kommt sie denn jetzt auf den Schuldgedanken? Das ist doch völlig absurd. Das hat gar nichts mit Schuld zu tun.
    »Oma! Du konntest das damals gar nicht wissen. Aber ich will doch einfach nicht auch noch dazugehören. Ich kann heute etwas dagegen unternehmen, und das ist gut so.«
    »Was willst du denn bitte schön machen, wenn du dieses Merkmal hast?«
    »Ich kann mir beispielsweise, bevor ich Krebs kriege, das Brustgewebe entfernen und wiederaufbauen lassen.«
    »Das ist nicht dein Ernst!«
    »Doch, Oma. Könntest du mir bitte aufschreiben, wann deine Töchter jeweils erkrankt sind, woran sie erkrankt sind und wann sie verstorben sind? Ich brauche die Informationen.«
    Sie ist ziemlich aufgebracht und beendet unser wöchentliches Telefongespräch hastig.
    Die DNA wurde erst vor fünfzig Jahren entdeckt, der Gentest für familiären Brustkrebs in den 1990er-Jahren entwickelt. Wie sollte sie da Schuld haben? Aber Oma ist nicht froh über meine Bitte nach Informationen. Sie will instinktiv möglichst wenig damit zu tun haben.
    Einige Tage später schickt sie mir ein Blatt mit ihren handschriftlichen Notizen. Darauf sind die Lebensdaten ihrer Töchter und einige wenige weitere Informationen. Sie hat ein gelbes Post-it draufgeklebt. »Hallo, Evelyn, ich hoffe, dass die Angaben genügen. Wenn nicht, ruf mich an. Grüße, Deine Oma.« Oma schickt sonst alles mit mindestens einer Postkarte als Begleitung. Das soll mir nochmal zeigen, wie wenig sie damit einverstanden ist. Andererseits hat sie die Informationen zusammengeschrieben. Sie hätte es ja auch ganz boykottieren können. Wahrscheinlich ist ihr schon klar, dass es nicht ganz dumm ist, was ich da vorhabe.
    Egal, so ist es eben. Ich schreibe das wenige, was ich weiß, zusammen und schicke es nach Bonn. Meine Tante, die einzige der vier Töchter, die keinen Krebs bekommen hatte, steuerte noch einige weitere Daten hinzu. Meine jüngste Tante hatte wahrscheinlich ein Non-Hodgkin-Lymphom, meint sie. Oma wusste nur noch »Hodgkin«. Jedenfalls ein Tumor im Lymphsystem. Keine Ahnung, wie und ob das mit dem familiären Brustkrebs zusammenhängt. Jedenfalls ist auch sie sehr jung erkrankt und wenige Jahre später daran gestorben.
    Auch mein Vater reagiert ablehnend. »Lass endlich die Vergangenheit ruhen!«, herrscht er mich am Telefon an, als ich ihm von Bonn erzähle. Das trifft mich natürlich. So hat er sich schon früher immer aufgeregt. Ich beende das Telefonat so schnell es geht. Tino hat es mitgekriegt und schüttelt verständnislos den Kopf. Wenige Stunden später ruft mein Vater zurück und entschuldigt sich für seine Reaktion. Er bietet sogar an, mit nach Bonn zu kommen, wenn es mir hilft, aber ich lehne ab. Tino
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