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Oben ohne

Oben ohne

Titel: Oben ohne
Autoren: Evelyn Heeg
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diversen Todesdaten zu Protokoll. Die Professorin skizziert nebenher einen Stammbaum meiner mütterlichen Familie. Nachdem er fertig ist, betrachtet sie ihn kurz.
    »Ihre Großmutter muss die Mutationsträgerin sein.«
    Sie erklärt es mir anhand des Stammbaums. Ja, das leuchtet ein. Die Mutation kann grundsätzlich von Oma oder Opa kommen. Da in der Familie von Opa allerdings keinerlei Fälle von Brust- oder Eierstockkrebs aufgetreten sind – zumindest weiß ich von keinem –, kommt sie höchstwahrscheinlich von der großmütterlichen Seite. Oma hat sie an ihre Töchter weitergegeben. Sie selbst ist ja auch erkrankt, aber sehr spät.
    »Wir brauchen dann das Blut Ihrer Großmutter, um den Test durchzuführen.«
    Oma? Das geht nicht! Da wird sie sich doch voll bestätigt fühlen mit ihrem Schuldkomplex – schießt es mir durch den Kopf.
    »O nein, warum denn das?«
    »Zuerst wird das Blut Ihrer Großmutter auf eine der beiden bekannten Mutationen untersucht. Nur wenn wir BRCA1 oder BRCA2 bei ihr nachweisen können, macht es auch Sinn, Sie zu testen.«
    Zwar vermuten die Wissenschaftler, dass es noch weitere Gendefekte gibt, die an der Entstehung von familiärem Brustkrebs ursächlich beteiligt sind. Aber diese sind bisher noch nicht gefunden worden.
    »Wenn wir also einfach nur Ihr Blut untersuchen, Frau Heeg, und wir finden keinen Defekt, dann könnte es theoretisch immer noch sein, dass Sie BRCA3 oder 4 oder X haben. Wir könnten Sie also nicht definitiv entlasten. Finden wir bei Ihrer Oma jedoch Variante eins oder zwei, dann können wir auch bei Ihnen gezielt danach suchen – und Ihnen anschließend einen genauen Befund geben.«
    Im besten Fall habe ich dann das »ganz normale« Brustkrebsrisiko von Frauen in Deutschland, das bei etwa zehn Prozent liegt – was ja eigentlich auch schon ziemlich viel ist. Im schlechtesten Fall können am Ende locker über achtzig Prozent Wahrscheinlichkeit herausspringen. Ich kenne die Zahlen bereits. Und dass der Krebs nicht unbedingt so lange wartet wie bei Oma, das habe ich ja zur Genüge erlebt.
    Es wird auch am längsten dauern, Omas Blut zu untersuchen, denn die Veränderungen des Erbgutes müssen an verschiedenen Stellen der DNA gesucht werden. Außerdem werden zur Qualitätssicherung immer mehrere Gentests gleichzeitig durchgeführt. Logischerweise müssen also zunächst genügend Blutproben zusammenkommen. Da ist die Rede von bis zu einem Jahr Wartezeit.
    »Und wenn man bei meiner Großmutter nichts findet?«
    Die Ärztin erklärt mir, dass ich dann lediglich den rechnerischen Wert, der bei der Analyse meines Stammbaums herauskommt, erfahren werde. Der liegt wahrscheinlich irgendwo zwischen vierzig und fünfzig Prozent Erkrankungsrisiko bis zum Alter von achtzig Jahren.
    »Es wird richtig schwer, von meiner Großmutter Blut zu bekommen«, gebe ich zu bedenken.
    Die Professorin rät mir, es über den Hausarzt abzuwickeln: In Ausnahmefällen reiche eine schriftliche Aufklärung und Einverständniserklärung, die die Betreffende unterschreiben muss und die dann zusammen mit dem Blut nach Köln geschickt wird. Ich bekomme gleich die Unterlagen, mit denen meine Oma direkt zu ihrem Arzt gehen soll. Der kann alles aus den Unterlagen entnehmen, und Oma muss sich nur noch anzapfen lassen und unterschreiben.
    Ich bleibe skeptisch. In der Praxis können da noch jede Menge Komplikationen auftreten. Zudem habe ich einfach große Hemmungen, sie nochmal um einen Gefallen in dieser Sache zu bitten. Andererseits ist sie meine einzige Chance. Ach was, nicht nur für mich, sondern auch für meine Schwester und meine zahlreichen Cousinen. Sie ist wahrscheinlich die einzige noch lebende Mutationsträgerin in unserer Familie – sozusagen ein doppelter Glücksfall, wenn die Umstände nicht so tragisch wären. Denn einerseits hat sie selbst so lang keinen Brustkrebs bekommen, obwohl sie wahrscheinlich belastet ist. Und andererseits ist es jetzt Glück für uns. Wenn sie uns kein Blut gibt, kann niemand in der Familie durch einen Test endgültig entlastet werden. Ich lasse noch Blut da, damit ich auf Tumormarker untersucht werden kann. Diese Parameter im Blut sind Anzeichen dafür, dass sich irgendwo im Körper ein Tumor gebildet hat. Jetzt wird es also ernst. Außerdem bekomme ich noch eine Ultraschalluntersuchung meiner Brust, das macht die Chefin gleich selbst.
    »Alles in Ordnung! Aber Ihr Gewebe ist sehr drüsig.«
    Dieser Spruch geht mir inzwischen auf die Nerven, denn das sagt jeder
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