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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher
Autoren: Wim Westfield
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Jackentasche rutschen lässt. »Ich gehe jetzt zum Empfang der Ehrengäste. Das wird bis etwa
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Uhr dauern. So lange haben Sie Zeit, Ihren Besuch zu treffen. Sie ist mit mir gekommen und erwartet Sie an der Klosterruine Eldena.«
    Jonas' Augen werden groß.
    »Julia?«
    »Bitte fahren Sie vorsichtig. Ein Auto mit Kieler Kennzeichen wird man nicht anhalten. Der Wagen parkt hinter dem Gemeindehaus. Ein roter Golf.«
    »Warum sagen Sie mir das erst jetzt?«
    »Weil ich sonst keine Fotos von der Domweihe bekommen hätte.«
    Jonas stürzt aus dem Gemeindehaus und steigt in den roten Golf. Einen Moment sieht er sich das Armaturenbrett genau an. Er darf keinen Fehler machen. Schaltung und alle anderen Armaturen sehen nicht wesentlich anders aus als beim Lada. Er startet den Wagen. In wenigen Minuten hat er die Innenstadt passiert. An der Kreuzung, an der die Straße nach Eldena abgeht, ist noch immer ein großes Polizeiaufgebot versammelt, doch die Absperrungen werden gerade weggeräumt und Jonas freundlich durchgewunken. Eine Viertelstunde später ist er in Eldena und hastet durch den Park.
    In der Klosterruine wird eine Bühne für ein Konzert aufgebaut. Handwerker wuseln herum. Auf den Zuschauerbänken sitzt, in Gedanken versunken, nur ein Gast. Julia.
    Jonas schleicht sich von hinten heran und hält ihr die Augen zu.
    »Mein Prinz!« Julia steht auf. Sie hat feuchte Augen. »Wie lange habe ich deine Hände nicht mehr gespürt?«
    Sie küssen sich. Jetzt erst bemerkt Jonas ihren dicken Bauch und streichelt mit der Hand darüber.
    »Unser Baby! Haben wir das hier auf der Ruine gezeugt?«
    »Ja, am Tag vor Heiligabend, da oben im Schneegestöber.«
    Beide blicken zu der hohen gotischen Mauer auf.
    »Mein Gott, Jonas, was wir da oben getan haben, hat uns an den Rand des Abgrunds gebracht.«
    »Julia, wir schaffen das.«
    »Ich bin im sechsten Monat. Wenn der Sommer vorbei ist, werde ich ein Kind von dir zur Welt bringen. Aber du darfst nicht zu mir kommen und ich eigentlich auch nicht zu dir.«
    »Wie bist du überhaupt eingereist? Ich denke, du darfst nicht mehr in die DDR?«
    Jonas nimmt sie bei der Hand und sie spazieren in Richtung Greifswalder Bodden.
    »Die DDR hatte bei allen Botschaften regelrecht gebettelt, dass hochkarätige Diplomaten zur Domweihe kommen. Doch bis auf ein paar Hinterbänkler wollten nur wenige eurem Erich die Ehre geben. Ich habe mich über die Pressestelle der evangelischen Kirche an Detlef Fliege gewandt. Die offizielle Einladung zur Domweihe gilt zugleich als Tagesvisum. An der Grenze hat man uns wie Diplomaten behandelt.«
    »Dann hast du mir den Fotoauftrag verschafft?«
    »Ja. Ich habe nach einem Weg zu dir gesucht. Ich habe es vor Sehnsucht nicht mehr ausgehalten.«
    »Julia! Ich kann es kaum fassen. Dich endlich wiederzusehen ...«
    Sie erreichen den schmalen Strand der Dänischen Wieck, der südlichsten Ausbuchtung des Greifswalder Boddens. Obwohl es ein warmer Junitag ist, ist der Strand noch nahezu menschenleer. Jonas breitet sein Jackett aus. Julia zieht die Strickjacke aus, die sie über ihrem hellen, weit geschnittenen Sommerkleid trägt, und lässt sie daneben fallen. Sie legt sich auf den Rücken, er schmiegt sich an sie. Sie sieht ihn ernst an.
    »Jonas, ich mache mir Sorgen. Um dich, um unser Baby, um unsere Liebe. Wie soll ich es ertragen, auf unbestimmte Zeit, vielleicht sogar ein Leben lang auf dich warten zu müssen?«
    »Ich habe heute Björn Engholm einen Brief übergeben mit der Bitte, meinen Ausreiseantrag zu unterstützen.«
    »Sei doch nicht so naiv. Der wird das innerhalb seiner Partei weiterreichen und irgendwer wird deinen Brief lochen und ihn in einen Aktenordner heften.«
    »Ich glaube an das Gute im Menschen.«
    »Den meisten Menschen bei uns ist es am wichtigsten, dass es ihnen selbst gut geht. Die machen lieber Geschäfte mit der DDR, anstatt Löcher in die Mauer zu bohren.«
    »Für den Notfall haben wir noch deine Notenblätter.«
    »Ich habe die komplette Bauanleitung für einen Drachen. Aber ich habe es nicht gewagt, sie heute mitzubringen, weil ich nicht wusste, was an der Grenze geschehen würde.«
    »Für diese Post haben wir den diplomatischen Weg über deine Botschaft.«
    »Jonas, ich denke heute etwas anders über die Idee mit dem Drachen. Ohne Erfahrung ist es vielleicht doch zu riskant, einen Klippstart vom Hochhaus zu wagen. Ich habe Angst. Ich möchte, dass du lebst.«
    »Julia, ich werde das nur tun, wenn es keinen anderen Weg gibt.«
    Die Sonne
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