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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher
Autoren: Wim Westfield
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zur Personenkontrolle zeigt auf dem Bildschirm einen Offizier und zwei Soldaten, die sich langweilen und herumalbern.
    Er nimmt sein Handfunkgerät und ruft den Boten zu sich. Eine Minute später erscheint ein kleiner blasser Mann in Zivil.
    »Sir, Sie haben mich gerufen?«
    »Waren Sie heute schon auf der Post?«
    »Sir, Sie haben selbst angewiesen, dass ich immer erst mittags zur Post fahren soll.«
    »Haben Sie heute Vormittag schon einmal das Botschaftsgelände verlassen?«
    »Nein, Sir. Ich bin seit 7 Uhr 30 hier und habe seitdem das Botschaftsgelände nicht verlassen.«
    »Danke, Sie können gehen.«
    Als der Bote gegangen ist, schwenkt Marc Davis die Kamera in der Bibliothek und zoomt sie auf Bianca. Sie sitzt noch immer in ihrer Ecke und liest Zeitung. Er betrachtet sie lange. Dann sagt er leise: »Fuck you.«
    Gegen 16 Uhr verlässt Bianca die Botschaft, spaziert Unter den Linden entlang in Richtung Alexanderplatz und fährt über den S-Bahnhof Friedrichstraße nach West-Berlin. Sie steigt am Bahnhof Zoo aus und geht die Kantstraße entlang in Richtung Savigny-platz. Als sie das Haus erreicht, in dem Julia und Marc wohnen, überlegt sie kurz, drückt auf die Klingel und fragt über die Wechselsprechanlage, ob sie auf einen Kaffee hochkommen könne.
    Julia empfängt ihre Freundin herzlich. Sie gehen vom Wohnzimmer über die offene Treppe in die obere Etage der großzügigen Penthouse-Wohnung. Hier oben, von wo man einen herrlichen Blick über die Dächer von Berlin genießen kann, hat Julia ihren Schreibtisch und eine kleine Sitzecke.
    »Julia, was ist los mit euch? Du erwartest ein Baby und solltest dich freuen. Aber du wirkst immer trauriger.«
    »Was soll schon los sein?«
    »Und Marc wird immer zickiger.«
    »Ist mein Umschlag abgeholt worden?«
    »Nein. Die Vopos lassen seit gestern keine DDR-Bürger mehr in die Botschaft, auch nicht in die Bibliothek.«
    »Wo ist der Umschlag jetzt?«
    »Zwischen den Atlanten, wie vereinbart. Der übliche tote Briefkasten.«
    »Ich habe heute im Radio gehört, dass DDR-Bürger überhaupt keine westliche Mission mehr betreten dürfen.«
    »Warum gibst du mir nicht die Postadresse? Ich könnte den Umschlag einfach in Ost-Berlin auf der Hauptpost abschicken.«
    »Nein, Bianca. Das ist mir zu riskant.«
    »Aber du sagtest, da seien Noten drin. Wo ist das Problem?«
    »Bianca, könntest du mir einen großen Gefallen tun?«
    »Wenn du mir verrätst, wer wirklich der Vater deines Babys ist.«
    »Bitte erzähl nicht so einen Blödsinn ...«
    »Julia, es ist allzu offensichtlich. Je runder dein Bauch wird, desto gespannter wird das Verhältnis zwischen dir und Marc.«
    »Du darfst dich in Ost-Berlin frei bewegen. Könntest du bitte den Umschlag mit den Noten nach Pankow bringen?«
    Julia hat einen Stadtplan entfaltet. »Hier ist der S-Bahnhof Wollankstraße. Der liegt im Westen. Hinter der Mauer, in diesem Haus in der Wollankstraße, wo ich das Kreuz mache, gibst du ihn bitte ab. Es ist eine Souterrainwohnung, so ein kleiner Laden mit einer Motorrad Werkstatt. Der Typ heißt Fred, ein großer, gut aussehender Mann Anfang dreißig.«
    »Fred aus Pankow!«, sagt sie und reißt die Augen auf.
    »Kennst du ihn etwa?«
    Bianca nickt. »Ein Traum von einem Mann, groß, schlank, muskulös ... Ist 'ne alte Geschichte ... Ich habe versucht, ihn rauszuholen, im Herbst 87, noch bevor du nach Berlin gekommen bist. Im Kofferraum. Gab viel Ärger damals. Ich hab ihn lange nicht gesehen.«
    »Würdest du zu ihm gehen und ihm den Umschlag bringen?«
    Bianca nickt.
    »Ich danke dir. Bitte gib den Umschlag persönlich bei Fred ab. Und sag ihm bitte, die Sendung sei für seinen Freund Jonas. Für Jonas Maler.«
    »Endlich verrätst du mir den Namen des Vaters deines Kindes.«
    Julia wird rot und wendet sich ab. »Unsinn. Und es sind nur ein paar Noten«, sagt sie mit Nachdruck.
    Etwa zur selben Zeit beendet Marc Davis mit einem routinemäßigen Rundgang durch die Botschaft seinen Arbeitstag. Von einem straßenseitigen Fenster in der oberen Etage aus beobachtet er das Aufgebot an Vopos vor dem Gebäude. Es tangiert ihn nicht weiter, im Gegenteil. Je mehr ostdeutsche Sicherheitsleute die Botschaft umstellen, desto weniger Gedanken muss er sich machen. Für die Probleme der Menschen in der DDR hat er sich nie sonderlich interessiert.
    Am Ende seines Rundgangs schließt er mit dem Generalschlüssel die Tür der Bibliothek auf und geht zu Biancas Schreibtisch. Die Schubfächer in dem eisernen Container
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