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Nur ein Jahr, Jessica!

Nur ein Jahr, Jessica!

Titel: Nur ein Jahr, Jessica!
Autoren: Berte Bratt
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Übrigens, ich bringe dir einen Kuchen von Muttchen, hast du Pulverkaffee im Haus?“
    „Ich habe Teebeutel.“
    „Fein. Du siehst geradeso aus, als brauchtest du Tee und Kuchen!“
    Ich setzte Teewasser auf, und Reni schnitt den Kuchen ein. Kurz danach saßen wir – wie so oft – uns gegenüber an meinem kleinen runden Tisch.
    „Wer fängt an?“ fragte Reni.
    „Du! Dein Problem ist bestimmt kleiner als meins. Für meins brauche ich Zeit.“
    „Gut. Meins ist schnell berichtet. Hast du vor, einen Ferienjob zu suchen?“
    „Ja, unbedingt. Je eher, desto besser.“
    „Fein! Also, paß mal auf: Ich fliege zu meinem Angetrauten in sechs Tagen. Heute bekamen wir einen Anruf von der Halbnichte, also der Tochter von Muttchens Kusine, die kommen wollte, um sich um Muttchen zu kümmern. Sie hat sich jetzt ausgerechnet den rechten Arm gebrochen. Aber was nun tun? Muttchen behauptet natürlich, daß sie großartig allein zurechtkäme, sie brauche keinen Babysitter und so weiter. Aber ich weiß, daß Manfred sich große Sorgen machen würde und ich selbst auch.“
    „Genug geredet, Reni“, unterbrach ich sie. „Wenn du willst, kann ich morgen zu euch kommen, dich entlasten, deine einmalige Schwiegermutter mit sanfter Gewalt in einen Sessel drücken, den Kater versorgen – und so lange bleiben, wie ihr mich haben möchtet!“
    „Jessica! Es ist zu schön, um wahr zu sein! Ja, was ich sagen wollte, du kriegst natürlich das Gehalt, das…“
    Ich wollte sie unterbrechen und protestieren, aber der Protest erstarb mir auf den Lippen. Statt dessen sagte ich: „Gleich werde ich dir erklären, warum ich eigentlich gegen ein Gehalt nicht protestiere, Reni. Aber vorläufig ist es also abgemacht, ich komme, und du kannst ruhig zu dem Gegenstand deiner Sehnsucht und deiner Träume fliegen.“
    „Mensch, machst du mich glücklich! Ich muß dich einfach umarmen! Aber jetzt bist du an der Reihe. Spuck aus, du ahnst nicht, wie gespannt ich bin!“
    Ich holte tief Luft und fing an zu erzählen. Dann nahm ich Muttis Brief und las Reni ein Stück daraus vor.
    Reni saß ganz still und horchte. Als ich schwieg, legte sie die Hand über die meine.
    „Du tust mir wahnsinnig leid, Jessica. Wir müssen ganz intensiv nachdenken, was wir machen können! Glaubst du nicht, daß du ein Darlehen oder ein Stipendium bekommen könntest?“
    Ich schüttelte den Kopf. „Sicher nicht. Vati besitzt ja schließlich ein Haus und hat etwas Geld auf der Bank.“
    „Aber, Jessica – die Donnerstagstanten! Tante Christiane ist vermögend…“
    „Nein, Reni, tausendmal nein! Und wenn du nun sagen würdest, du könntest deinen wohlhabenden Vater fragen, würde ich auch nein sagen! Ich will keine Schulden machen und will kein Mitleid! Du findest mich vielleicht komisch oder störrisch, vielleicht sogar beides. Aber ich habe von meinen Eltern die Angst vor Schulden geerbt. Ich werde jede Arbeit annehmen, mit der ich ehrliches Geld verdienen kann. Aber ich will nie und niemals jemand um Hilfe bitten! Und ich bitte dich sehr, Reni, erzähle diese Geschichte nicht den Donnerstagstanten! Zuerst muß ich eine Arbeit finden, vielleicht in einer anderen Stadt. Dann kannst du meinetwegen die Zusammenhänge erzählen, aber jetzt nicht!“
    Reni sah mich an, aufmerksam und forschend. „Gut! Ich verspreche es dir.“
    Die Donnerstagstanten sind zwei wahnsinnig nette und liebe Damen mittleren Alters, bei denen wir die ganze Studienzeit über jeden Donnerstag gegessen haben, und wie gegessen! Die eine, Christiane von Waldenburg, ist meine Patentante. Sie war die Jugendfreundin meiner Mutter und heiratete einen sehr wohlhabenden Gutsbesitzer. Als reiche Witwe teilte sie ihre urgemütliche Wohnung mit ihrer Kusine, unserer Tante Isa, der Studienrätin Isolde Neuberger. Bei den Donnerstagstanten bekamen wir nicht nur gut und reichlich zu essen, sondern auch gute Ratschläge und vor allem die Nestwärme, die eine Studentin so genießt, wenn sie sechs Tage in der Woche auf eine mehr oder weniger einsame Bude angewiesen ist.
    „Weißt du was?“ sagte Reni. „Deine Eltern tun mir wahnsinnig leid. Natürlich ist es traurig für dich, das sehe ich ein. Aber eigentlich ist es tausendmal trauriger für deine Mutter gewesen, diesen Brief an dich schreiben zu müssen. Du mußt zusehen, daß du sie irgendwie trösten kannst. Wenn du heulen mußt, stelle ich mich zur Verfügung mit Mitleid und Taschentuch. Aber versuche, daß du deinen Eltern gegenüber einen munteren Ton
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