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Nur ein Jahr, Jessica!

Nur ein Jahr, Jessica!

Titel: Nur ein Jahr, Jessica!
Autoren: Berte Bratt
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anfinge, dann Babysachen strickte – mit der Begründung, es sei jetzt eilig? Ein Mädchen, das am frühen Morgen mit einem Mann aus dem Schlafzimmer kommt und zu guter Letzt zugibt, sie wäre nicht offen zu ihrem Brotgeber gewesen, sie hätte ihm etwas verheimlicht und hätte im voraus gewußt, sie könne nur für eine beschränkte Zeit im Hause bleiben! Natürlich ist alles ein Mißverständnis, das sehe ich jetzt ein, aber es ist ein erklärliches Mißverständnis – Herrgott, haben Sie denn nie in Ihrem Leben eine Lage mißverstanden?“
    Die letzten Worte trafen mich wie ein Hieb. „Doch“, sagte ich leise. „Das habe ich. Und ob ich das habe!“
    „Dann müssen Sie doch eigentlich verstehen, daß es auch anderen Menschen passieren kann.“
    Ich schwieg eine Weile. Was ich damals über Falko und seine „flotte Biene“ gedacht hatte, war viel gemeiner, tausendmal unberechtigter als dies hier. Wenn Falko, der allen Grund gehabt hätte, tief gekränkt zu sein, mir doch sofort verzieh, sollte ich denn dies nicht auch verzeihen können? Warum war ich eigentlich wütend? Es stimmte ja, die „Indizien“ hatten sich gehäuft! Vielleicht war es gar nicht verwunderlich, daß sie glauben und denken mußten…
    Ich richtete den Blick auf Fräulein Clewe. „Sie haben recht“, erklärte ich. „Eigentlich kann ich verstehen, daß Sie es glaubten. Und es ist dumm von mir, deswegen empört zu sein. Aber bleiben kann ich nicht. Man hat mich gebeten, das Haus zu verlassen, und das tue ich.“
    „Wie schade!“ sagte Fräulein Clewe. „Was machen Sie nun, wenn ich fragen darf? Bleiben Sie noch in Frankfurt?“
    „Es ist möglich“, sagte ich. Denn in diesem Augenblick fing ein Plan an, in meinem Kopf feste Formen anzunehmen. „Es ist sogar sehr wahrscheinlich.“
    „Ich möchte Sie darum bitten, mir Ihre Adresse zu geben!“
    „Mache ich.“
    Sie guckte mich an, dann lächelte sie. „Wissen Sie, was Frau Frisch-Nielsen gestern sagte? Sie war bei uns im Büro, und diese Sache wurde dort besprochen. Der Direktor hat das Ganze sehr bedauert, denn er hat Sie doch so gern im Haus gehabt. Und seine Frau saß da mit feuchten Augen und zitterndem Mund wie ein kleines Kind, und dann sagte sie…“
    „… und dabei hat Jessica mir die Nähmaschine erklärt, und ich kann jetzt den Geschirrspüler benutzen“, unterbrach ich sie.
    „Iwo! Sie sagte nur: ,Und sie ist die erste, die mich immer gnädige Frau genannt hat!’“
    Ich mußte lachen, und dabei fühlte ich mich gerührt. Und ich dachte an dieses kleine, hilflose, kindliche Wesen, dem ich vielleicht hätte weiterhelfen können.
    Wir blieben noch eine Weile sitzen. Ich machte uns eine Tasse Tee, und Fräulein Clewe sprach sehr offen mit mir. Sie war es gewohnt, den verschiedenen Hausgehilfinnen beistehen zu müssen – „denken Sie an das Rinderfilet, Fräulein Berner!“ –, und sie wußte nur zu gut, wie schwierig es ist, mit dem kleinen blonden Starrkopf auszukommen.
    „Wissen Sie“, sagte ich langsam. „Eigentlich ist sie gar kein Starrkopf, nicht von Natur aus. Im Gegenteil! Wenn man die richtigen Worte findet, läßt sie sich gern leiten. Ich habe versucht, an dem Punkt weiterzumachen, an dem sie als Teenager stehengeblieben ist. Ich fing an, von ihren Eltern zu sprechen und von dem, was sie von ihnen gelernt hatte! Und dann ging es! Ich sprach von den Nähkünsten ihrer Mutter, und dann horchte sie auf. Jetzt hätten Sie sie sehen sollen, wie sie ihre komplizierte Nähmaschine behandelt, mit Zierstichen und Knopflochschablonen, mit Faltenleger und Zickzackstichen und was es noch alles gibt! Sie stapelt das Geschirr richtig in den Geschirrspüler und schließt ihn korrekt an, sie benutzt die Küchenmaschine und kann mit dem Heimbügler umgehen. Jetzt hatte sie gerade angefangen, sich fürs Kochen zu interessieren, und das tat offengestanden not!“
    „Wem sagen Sie das!“ seufzte Fräulein Clewe. „Ihr Kochen bestand darin, daß sie ein fertig gebratenes Huhn oder eine Dose Würstchen kaufte. Ich habe einmal hier gegessen, als sie allein wirtschaftete. Nachher begriff ich, warum der Herr Direktor immer in der Stadt ein solides Mittagessen aß. Bis also Sie kamen.“
    „Aber wissen Sie – der Herr Direktor tut nun auch gar nichts, um seine Frau anzuspornen! Er ist wahnsinnig lieb zu ihr und großer Kavalier. Aber er verlangt ja nichts, einfach nichts von ihr! Manchmal habe ich das Gefühl, daß er sie so behandelt, wie er einen süßen, kleinen,
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