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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer
Autoren: Mary Alice Monroe
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Mama existierte nun nicht mehr, und nach ihrem Tode stand Caras Abreise im Grunde nichts mehr im Wege. Wieder neigte sich eine Schildkrötensaison dem Ende zu. Die Mehrzahl der Feriengäste war längst wieder daheim. Die Schildkrötenschützer hatten sich bis zum kommenden Jahr in alle Winde zerstreut. Aus den Nestern, die während des Wirbelsturms nicht evakuiert worden waren, hatte sich kein einziges Jungtier herausgegraben, und dem Gelege, das Cara und Lovie umgebettet hatten, drohte offenbar dasselbe Schicksal.
    Es war Oktober, für Cara immer schon der schönste Monat auf der Insel. Im Moment standen wunderschöne Wildblumen in Blüte, und auf ihrem Weg nach Süden flogen Zugvögel über das Lowcountry hinweg.
    Cara aber zog es nach Norden. In dem Kostüm, das sie bereits angelegt hatte, kam sie sich am Strand so fremdartig vor wie damals im Mai bei ihrer Ankunft. Am frühen Morgen schon hatte sie die Sachen mit fast ritueller Sorgfalt auf dem Bett zurechtgelegt und sich mental auf den Wechsel des Lebensstils eingestellt. Brett sollte sie in einigen Stunden zum Flughafen chauffieren.
    Bei Erhalt der Reiseunterlagen, die ihr von ihrer Agentur zugeschickt worden waren, hatte sie doch zunächst ein bisschen Angst vor der eigenen Courage bekommen. Sie hatte die Insel während ihres viermonatigen Aufenthaltes so gut wie nie verlassen. Ausgerechnet ihr, die gewöhnlich zwischen Chicago, Los Angeles und New York hinund herpendelte, wurde plötzlich mulmig zumute bei dem Gedanken, nun in ein Flugzeug steigen und sich wieder mit Massen von Menschen umgeben zu müssen. Das Leben hier auf der Insel war doch sehr isoliert gewesen. Merkwürdig fürwahr, dass sie in den wenigen Monaten trotzdem engere und zahlreichere Beziehungen geknüpft hatte als in zwanzig Jahren zuvor.
    Sie nahm zum letzten Mal Abschied vom Meer. Ringsum raschelte der Strandhafer im Wind. Nachdenklich stand Cara da. Was mochte die Zukunft bringen? Warum, so fragte sie sich im Stillen, gerate ich jetzt, fünf Minuten vor zwölf, bezüglich meiner Entscheidung ins Grübeln? Wozu jetzt noch wankelmütig werden? Alles war doch vorbereitet, die gepackten Koffer standen in Reih und Glied an der Tür. Toy sollte, so war es beschlossen worden, weiter mit Little Lovie im Strandhaus wohnen. Brett hatte sich einverstanden erklärt, Cara nach Chicago zu folgen, sobald sie sich in ihre neue Funktion in der Agentur eingearbeitet hatte. Allerdings mussten bestimmte Einzelheiten seines Umzugs noch festgelegt werden. Cara hatte mit der Vergangenheit abgeschlossen. In der Firma winkte eine strahlende Zukunft, ihre Beziehungen ruhten auf solidem Fundament. Eigentlich hätte sie zufrieden sein können.
    Die Wahrheit war allerdings, dass sie nur äußerst ungern abreiste. Sie hatte sich an das beschaulichere Tempo des Lebens gewöhnt, fand es schön, morgens aufzuwachen und den ganzen Tag für sich zu haben. Das hatte Lovie sie gelehrt.
    Sie wandte der See den Rücken zu und sah zum kleinen gelben Haus hinüber.
Ihr
Häuschen am Meer! Wenn auch ein wenig mitgenommen nach den Strapazen des Hurrikans, thronte es dennoch stolz und robust auf dem Dünenkamm. Violette und goldgelbe Wildblumen sprenkelten die umliegenden Dünen. Dieses kleine Strandhaus auf der Insel war nun ihr Zuhause, und auf der kleinen, vorgelagerten Insel wohnten die Menschen, denen ihr Herz gehörte.
    Und dennoch fuhr sie wieder weg. Sie verstand es selbst nicht recht. Ständig schwirrten ihr die Worte, die Russell ihrer Mutter geschrieben hatte, im Kopf herum:
Dass unser Verstand, nicht das Herz, oft unser Handeln bestimmt, muss ich wohl hinnehmen. Doch glaube ich, dass uns das Herz besser leitet als das Hirn.
Begehe ich denselben Fehler wie meine Mutter? Treffe ich eine vermeintlich richtige Entscheidung, allerdings aus den falschen Gründen?
    Der Himmel wurde dunkler. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet, dass es Zeit war aufzubrechen. Tief seufzend, setzte sie sich in Bewegung. Eine plötzlich Brise strich über sie hinweg, kühl und süß duftend. Argwöhnisch schaute sie zum Himmel, doch keine Wolke war zu sehen – eine ideale Nacht für eine Flugreise. Dann fiel ihr Blick auf das markierte Schildkrötengelege, das sie nach dem Hurrikan eingegraben hatten. Einer sentimentalen Eingebung folgend, machte sie einen kleinen Umweg, um der Schildkrötensaison, die ja so viel zur Versöhnung mit ihrer Mutter beigetragen hatte, einen würdigen Abschluss zu verleihen.
    Das einsame Nest wirkte wie ein
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