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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer
Autoren: Mary Alice Monroe
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schlafende Baby in Lovies abgemagerte Arme und ließ dann, sobald sie merkte, dass die alte Frau die Kleine auch sicher hielt, allmählich los, blieb allerdings wie eine besorgte Glucke ganz in der Nähe.
    Miranda nickte ernst. „Little Lovie“, flüsterte sie ergriffen und damit stand der Kosename für das Neugeborene ein für alle Mal fest.
    Alle freuten sich über die beiden Olivias. Vielleicht war’s ja im Leben tatsächlich so: Irgendwie schloss sich der Kreis am Ende doch.
    Lovie hatte unruhig geschlafen, war nur ab und an eingenickt und von heftigen, krampfhaften Hustenanfällen immer wieder aufgeweckt worden. Der Kampf mit dem Unwetter hatte sie geschwächt. Umso mehr verblüffte es Cara, dass ihre Mutter darauf bestand, die erneute Umbettung des Schildkrötengeleges an den Strand zu beaufsichtigen.
    „Ich muss“, versicherte sie leise.
    „Mama, ich schaffe das schon. Du hast mich gut ausgebildet.“
    „Es ist keine alltägliche Sache“, beharrte sie. „Alles muss hundertprozentig laufen. Dafür bin ich verantwortlich.“
    „Aber dein Husten … du bist doch so erschöpft!“
    „Caretta“, erwiderte Lovie, und obwohl ihre Stimme nur einem rauen Flüstern glich, war doch die Unnachgiebigkeit, mit der sie ihre Tochter beim vollen Namen nannte, unüberhörbar. „Ich
will
es so!“ Dann wurden ihre Züge weicher. „Verstehst du?“
    Cara nickte und schaute Hilfe suchend zu Brett. Beide wechselten einen gequälten Blick.
    Also zogen sie los und liefen über den abschüssigen Sandpfad durch die Dünen zum Strand. Brett trug Lovie mehr, als sie ging, während Cara den roten Plastikeimer schleppte. Abgebrochene Äste, Palmenwedel und Abfall lagen über den Weg verstreut. Sie kamen nur langsam voran, nicht allein wegen Lovie, sondern auch, weil sie das Gelege nicht zu sehr erschüttern wollten. Endlich, am Strand angekommen, blieben sie stumm und betroffen im weichen Sand stehen. Der Strand bot einen erschütternden Anblick, weil die Brandung die Dünen stark beschädigt hatte. Gerade lief die Flut ab. Der nass glänzende Sand erstreckte sich so weit hinaus, wie Cara es noch nie zuvor gesehen hatte.
    „Wie’s wohl den anderen Nestern ergangen sein mag?“ überlegte Cara.
    „Wahrscheinlich schaffen sie es nicht“, meinte Lovie sachlich. „Unseres hier höchstwahrscheinlich auch nicht. Die Natur ist zuweilen brutal. Immerhin haben wir unser Möglichstes getan, oder?“
    „Das kann man wohl sagen.“
    Auf der Suche nach dem bestmöglichen Bebrütungsplatz schleppte sich Lovie am Strand entlang. Ihr langer, rosafarbener Morgenmantel flatterte in der Abendbrise, und mit ihrer leicht gebückten Haltung und den Trippelschritten wirkte sie wie eine zierliche japanische Geisha. Eine ganze Weile blieb Lovie vor einer kleinen, ausgewaschenen Düne stehen.
    Cara lief zu ihrer Mutter hin. „Mama? Was ist?“
    „Meine Düne ist verschwunden“, flüsterte Lovie traurig. Ihre Unterlippe zitterte.
    Cara guckte sich um. Die hohe Düne, einst Ort der Zuflucht für ihre Mutter und Russell Bennett, war nahezu platt gewalzt worden. Cara legte ihrer Mutter den Arm um die Schulter, und wieder stellte sie fest, wie mager und zerbrechlich Lovie sich anfühlte, wie wenig von ihr eigentlich noch übrig war.
    „Du brauchst die Düne doch nicht mehr. Erinnerst du dich noch, was du mir erzählt hast? Ihren Zauber, den trägst du im Herzen.“
    Lovie drehte sich um und betrachtete ihre Tochter, und Cara war, als leuchte noch einmal Hoffnung in ihren Augen auf.
    „Du hast Recht! Wie dumm von mir, dass ich es vergaß!“
    Cara hielt ihr Haar fest, ließ ihren Blick über die windgepeitschte, umgestaltete Küste schweifen. Ob es irgendwo einen Platz für die Eier gab? „Ich weiß nicht recht … was meinst du? Wohin mit dem Gelege?“
    Lovie schaute erneut zu der Düne hin und lächelte zaghaft. „Vielleicht Glück im Unglück. Meine Düne war stets zu hoch und zu steil für die Schildkröten. Doch jetzt ist sie nahezu ideal. Weit genug zurück und schön sanft zur See abfallend. Hier soll es sein.“
    Lovie wankte vor Erschöpfung, während sie die Arbeit beaufsichtigte. Brett und Cara schaufelten eine neue Bebrütungsgrube – genauso tief, breit und birnenförmig wie die ursprüngliche. Eins nach dem anderen setzten sie dann sorgfältig die Eier hinein, und nachdem alle an Ort und Stelle waren, bedeckte Cara sie mit einer Sandschicht und klopfte diese sacht mit der Handfläche fest. Das Gelege wurde mit Holzpflöcken und
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