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Nur die Nacht war Zeuge (Mord Azur) (German Edition)

Nur die Nacht war Zeuge (Mord Azur) (German Edition)

Titel: Nur die Nacht war Zeuge (Mord Azur) (German Edition)
Autoren: Judith Lawrenz
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Sternen greift, wird sich mit einer Hand voll Staub zufrieden geben müssen.“ Seine hochgestreckte Hand fiel dramatisch nach unten. Die Mühe, im Staube des Teppichs zu wühlen, schenkte er sich und deutete nur mit einer kleinen Hocke das erniedrigende Gefühl der Verlierer dieser Welt an.
     
    Er schlug darauf einen sachlicheren Ton an. Auch er sprach von der Bedeutung des europäischen Marktes, der Beachtung, die sein Land, Amerika, diesem Markt schon seit geraumer Zeit schenkte und verkündete mit Weihnachtsmann-Augen frischen Dollarsegen für alle europäischen Partner, dank neuer Aktivitäten der US-Kunden, die nicht mehr von einer Krise sprachen, sondern wieder mutig voranschritten.
     
    Paul Katz, der neue Finanzstar, der immer noch in seine Papiere versenkt war, wurde daraufhin aufgefordert, die neuen Ideen der Smith, Henderson für Europa zu präsentieren. Er stand feierlich auf und knöpfte sein zweireihiges, dunkelblaues Nadelstreifenjackett zu. In seiner Leibesfülle stand er seinem Chef in nichts nach. Sein fleischiges Gesicht, das  von dichten, schwarzen Augenbrauen dominiert wurde, wirkte jugendlich, aber entschlossen. Das Kinn ruhte in einer satten Falte, seine Augen jedoch hatten den treuen Blick eines Teddybärs, der unvermutet zwinkern würde. Gemessenen Schrittes begab er sich mit seinen Papieren zum Rednerpult.
    „Wir machen uns auch ein paar Gedanken in New York“, sagte er mit breitem Grinsen und startete seine Präsentation. Die Zahlengebäude, die er daraufhin präsentierte, wurden mit höflichem Interesse verfolgt.
     
    „Worüber spricht er?“, fragte Bernard Cabernet leise seine Nachbarin, seine Englischkenntnisse waren begrenzt. „Es sind Zahlen für eine Europa Holding“, flüsterte Anne-Sophie und zuckte mit den Schultern.
    „Das sind schöne Zahlen, Paul“, unterbrach der Engländer, ein extrem schlanker, großer Mann mit länglichem Gesicht und Habichtaugen, „wie sollen sie zustande kommen?“
    „Moment, Moment“, erwiderte Paul Katz „dazu komme ich noch.“ Seine Teddybär-Augen lächelten freundlich, die großen fleischigen Hände, hielten den Zeigestock, mit dem er die Ziele und Zahlen auf der Leinwand anzeigte. Erst nach einer weiteren Serie ermüdender Charts voller Zahlen, ließ er leise und nicht für alle sofort verständlich die Katze aus dem Sack. Die Europa Holding präsentierte nichts anderes als die vereinten Umsätze aller europäischen Agenturen. Die New Yorker Idee lautete auf gut deutsch, italienisch, französisch oder spanisch, dass die europäischen Agenturinhaber alle ihre Anteile in den großen europäischen Topf werfen und dafür einen entsprechenden Anteil an der Holding dafür bekommen sollten. An das Gemeinschaftsgefühl wurde hier auf eine, für die Beteiligten verwirrende Art appelliert. Im Saal herrschte das Schweigen sprachloser Geister. Der würdevolle Spanier kniff mit übersetzungsbedingter Verspätung seine Lippen fester zusammen.
     
    Piet Drachmann, Geschäftsführer Beratung der französischen Agentur für die US-Kunden, saß in der vordersten Reihe des Konferenzsaals. „Wen ich Sie recht verstehe“, sagte Piet Drachmann beflissen, „bekomme ich für meinen Anteil an unserer Agentur, der VMC Smith, Henderson, Anteile an der Europa-Holding. Er ließ das Wort Europa Holding wie eine Fanfare erklingen. Paul Katz hüpfte begeistert hinter seinem Rednerpult auf. „So ist es, Piet. Den genauen Schlüssel für die Anteile müssen wir nur noch errechnen.“
    Piet Drachmann notierte eifrig etwas auf seinen gelben Block, radierte dann energisch einen Teil davon wieder aus.
    „Arsch mit Ohren“, flüsterte Anne-Sophie ihrem Partner zu. Der schwieg und setzte den Stift zu einer Karikatur von Piet Drachmann an. Piet war ein geeignetes Opfer dafür. Sein kleiner Kopf, auf dem nur noch wenige Haare sprossen und an die Behaarung eines Straußenvogelkopfs erinnerten, saß auf einem wackligen, dünnen Hals. Auf seiner kleinen, oft verschnupften Nase thronte eine schwere, schwarze Hornbrille, durch die tote Karpfenaugen blickten. Auch sein Mund war für Spötter ein gutes Angriffsziel, denn er barg hasenartige Oberzähne, die das einzig kämpferische in dem ansonsten harmlos blickenden Gesicht darstellten.
     
    Bernard riss das Blatt von seinem Block ab und zerknüllte es. „Sie können uns doch nicht zwingen, unsere Anteile zu verkaufen“, flüsterte er dann und lehnte sich zurück.
    „Nein“, sagte Anne-Sophie, „Aber sie haben durch
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