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Nur der Tod sühnt deine Schuld

Nur der Tod sühnt deine Schuld

Titel: Nur der Tod sühnt deine Schuld
Autoren: Carla Cassidy
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Schwester umgebracht hat!« Sie stach ihm mit dem Finger in die Brust.
    Tollivers Gesichtszüge wurden weich, als die Trauer, die Haley mühsam zurückgehalten hatte, sie plötzlich voll ergriff. Hätte er sie nicht an den Schultern gepackt, sie wäre gestürzt. Sie sank nach vorn, lehnte sich an seine breite Brust und schluchzte haltlos.
    Er sagte kein Wort, versuchte nicht, sich zu befreien oder sie zu beruhigen, sondern strich ihr mit der Hand über den Rücken, so wie Eltern ihr weinendes Kind trösten.
    Haley konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal geweint hatte. Vielleicht damals, als sie mit vierzehn Jahren einen streunenden Hund gefunden hatte, einen kleinen Pudelmischling, dessen Fell ganz verfilzt und voller Dornen gewesen war. Er war ihr so freudig auf den Arm gesprungen, als wäre sie seine Rettung.
    Haley hatte den Hund mit nach Hause genommen und ihre Mutter angefleht, ihn behalten zu dürfen. »Kommt gar nicht in Frage«, hatte Ann Lambert gesagt. »Ich kriege dich ja noch nicht mal dazu, dein Zimmer aufzuräumen. Du bist nicht verantwortungsbewusst genug, um für ein Tier zu sorgen.« Dann hatte ihre Mutter das Tierheim angerufen.
    Als der Mann vom Tierheim Haley den Hund aus den Armen genommen hatte, hatte das kleine Wesen sie zärtlich angeschaut und sie am Kinn geleckt.
    Damals hatte Haley zwei Tage lang geweint.
    Diesmal weinte sie nicht so lange. Nach ein paar Minuten hatte sie sich einigermaßen gefasst und trat einen Schritt zurück.
    »Tut mir leid.« Sie wischte sich die Tränen weg, beschämt, weil sie die Kontrolle verloren hatte.
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, entgegnete Tolliver. »Das ist doch nur natürlich.«
    Einen Augenblick lang standen sie sich gegenüber und schwiegen betreten. »Ich werde alles tun, um den Täter zu finden«, sagte er schließlich. »Der Fall hat im Moment bei uns oberste Priorität.«
    Im Moment.
    Haley nickte, auch wenn ihr klar war, dass es nur einen weiteren Mord, ein weiteres Opfer brauchte, um Monica auf der Prioritätenliste nach unten rutschen zu lassen.
    Aus dem Fernsehen und aus Kriminalromanen wusste sie, dass die ersten achtundvierzig Stunden entscheidend für die Aufklärung eines Verbrechens waren. Mehr als die Hälfte dieser Zeit war schon vorbei, und sie hatten nichts.
    »Was haben Sie jetzt vor?«, fragte Detective Tolliver. »Wo kann ich Sie erreichen?«
    »Gibt’s noch das Lazy Ray’s am Highway 169 ?«, fragte Haley. Er nickte. »Dann finden Sie mich dort. Und im Moment habe ich nichts anderes vor, als die nächste Bar aufzusuchen und mich sinnlos zu betrinken.«

[home]
    4
    H aley betrank sich zwar nicht, nahm aber ein Zimmer im Lazy Ray’s, einem Motel am Stadtrand von Pleasant Hill, das es gab, seit sie denken konnte.
    Kaum hatte sie ihre Sachen ausgepackt, fiel ihr auch schon die Decke auf den Kopf, und sie verspürte den Drang, nach draußen zu gehen.
    Irgendwohin.
    Egal wohin. Sie musste einfach nur raus.
    Obwohl ihr eigentlich danach war, genau das zu tun, was sie Tolliver gesagt hatte, nämlich die nächste Bar aufzusuchen, tat sie es nicht.
    Stattdessen setzte sie sich in ihren Leihwagen und fuhr ziellos durch die kleine Stadt. Die Abenddämmerung tauchte die Häuser und Gärten in ein sanftes goldenes Licht.
    Das Zentrum von Pleasant Hill bestand aus einer Straße, die zwei Häuserblocks lang war. Als Haley das letzte Mal durch die Main Street geschlendert war, waren viele Ladenlokale mit Brettern zugenagelt gewesen, und die anderen Geschäfte hatten ums Überleben gekämpft. Inzwischen hatten dort schicke Boutiquen, Coffee-Shops und Handy-Läden aufgemacht. Pleasant Hill war endlich im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen.
    Haley wusste nicht, dass sie ein Ziel hatte, bevor sie an der Oak, Ecke Maple links abbog. Erst in dem Moment wurde ihr klar, dass sie auf dem Weg nach Hause war.
    Maple Drive war eine Sackgasse, und ganz am Ende stand das Haus, in dem Haley aufgewachsen war. Monica war dort eingezogen, als Ann Lambert, ihre Mutter, vor fünf Jahren gestorben war.
    Nach Anns Tod hatte Monica ihrer Schwester vorgeschlagen, dass sie ihr Elternhaus verkaufen und den Erlös unter sich aufteilen sollten. Das Haus war abbezahlt, so dass es eine schöne Summe eingebracht hätte. Doch Haley hatte nichts von einem Verkauf wissen wollen und darauf bestanden, dass Monica dort einzog.
    Das eingeschossige Haus war perfekt, um ein Kind großzuziehen, und Monica würde sich keine Sorgen wegen der Miete machen
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