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Nur der Tod sühnt deine Schuld

Nur der Tod sühnt deine Schuld

Titel: Nur der Tod sühnt deine Schuld
Autoren: Carla Cassidy
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müssen. Es gab drei Schlafzimmer und einen wunderschönen, baumbestandenen Garten mit einem Baumhaus. Ihr Vater hatte es gebaut, als Haley zehn war und Monica zwölf.
    An einem Dienstag war er damit fertig geworden, und am Freitag darauf hatte er im Schlaf einen tödlichen Herzinfarkt erlitten.
    Von dem Tag an war Haley nie mehr ins Baumhaus hinaufgeklettert. Sie hatte es einmal versucht, Monate nach dem Tod des Vaters, doch als sie die Holzleiter ergriffen hatte, war ihr schwindelig geworden, und sie hatte die erste Panikattacke ihres Lebens gehabt. Leider war es nicht die letzte gewesen, aber inzwischen traten die Angstanfälle Gott sei Dank nur noch selten auf.
    Haleys Finger umkrallten das Lenkrad, als sie sich der Sackgasse näherte.
    Das gelbe Absperrband flatterte in der leichten Abendbrise. Beinahe herausfordernd hob es sich von dem fröhlichen Rot der Haustür ab.
    Ein Streifenwagen stand in der Einfahrt. Als Haley am Bordstein vor dem Haus hielt, stieg ein blonder Polizist aus dem Auto und blickte sie misstrauisch an. Sie schaltete den Motor aus und kletterte aus dem Wagen, machte aber keine Anstalten, zum Haus hinüberzugehen.
    »Kann ich Ihnen helfen?« Der Polizist kam auf sie zu. Er sah sehr jung und sehr dienstbeflissen aus. Kerzengerade, die Schultern gestrafft, schob er das ausgeprägte Kinn beim Gehen vor. »Falls Sie von der Zeitung sind, wir geben keine Informationen raus.« Er legte eine Hand auf den Pistolengriff.
    »Nein, ich bin keine Reporterin. Ich bin … das hier ist mein Haus. Die Ermordete ist meine Schwester.«
    Das Kinn senkte sich kaum merklich. »Tut mir leid, Ma’am. Aber ich kann Sie nicht hineinlassen. Im Moment darf da keiner rein.« Er nahm die Hand von der Pistole. »Ehrlich gesagt, glaube ich, dass Sie das sowieso nicht sehen wollen. Es ist eine ziemliche Sauerei.«
    Seine Worte trafen sie wie ein Faustschlag in die Magengrube.
Eine ziemliche Sauerei.
Eine Sauerei, weil irgendjemand wieder und wieder auf ihre Schwester eingestochen hatte.
    »Ich musste einfach nur herkommen.« Sie wollte gar nicht hineingehen. Sie wollte Monicas Blut an den Wänden und auf dem Boden nicht sehen.
    Sobald das Haus freigegeben würde, wollte sie mit der Firma, von der Tolliver gesprochen hatte, Kontakt aufnehmen. Was für eine Vorstellung, dass es Menschen gab, deren Job es war, hinter dem Tod sauber zu machen.
    In der Bar in Las Vegas hatte Haley eine Stammkundin gehabt, Maddie, eine geistig verwirrte alte Frau. Sie kam drei-, viermal die Woche und bestellte einen Gin Tonic. Während sie daran nippte, erzählte sie von winzigen Menschen, die auf ihrem Dachboden lebten, oder von gefährlichen elektromagnetischen Wellen, die ihre Gedanken manipulierten.
    Haley hatte sich bei ihrem Boss nach Maddie erkundigt, und er hatte ihr erzählt, dass Maddies Mann sich vor ein paar Jahren umgebracht hatte. Er hatte sich im Wohnzimmer eine Kugel in den Kopf gejagt. Maddie hatte ihn gefunden, als sie vom Einkaufen nach Hause kam.
    Die Polizei war gekommen, hatte seinen Tod als Selbstmord eingestuft und die Leiche mitgenommen. Maddie war allein im Haus zurückgeblieben, das Blut und die Gehirnmasse ihres Mannes im ganzen Wohnzimmer verteilt. Sie hatte zwei Tage damit zugebracht, die Wände zu schrubben, und in diesen zwei Tagen, während sie alles wieder sauber machte, sei sie verrückt geworden, hieß es.
    Haley hatte nicht das Bedürfnis, die Überreste ihrer Schwester auf dem Teppich und an den Wänden verteilt zu sehen. So wollte sie Monica nicht in Erinnerung behalten.
    Der Polizist murmelte noch irgendeine Plattitüde, dann ging er zu seinem Streifenwagen zurück und stieg wieder ein. Haley lehnte sich an ihren Leihwagen und verspürte nicht die geringste Lust, ihr einsames Motelzimmer aufzusuchen.
    Ihre Mutter würde sich im Grab herumdrehen, wenn sie wüsste, dass außer Haley niemand mehr da war, der sich um Molly kümmern konnte. Ann Lambert hätte gesagt, dass es besser wäre, wenn ihre Enkelin von Wölfen großgezogen würde als von Haley. Haleys größte Sorge war, dass ihre Mutter recht hatte.
    Haley wusste nichts über Kinder und erst recht nichts über Molly. Sie hatte keine Ahnung, was ihre Nichte gerne aß, wie sie ihren Tag verbrachte oder wann sie schlafen ging. Sie wusste nicht das Geringste über irgendetwas, was für Molly von Bedeutung war.
    Was sie Tolliver erzählt hatte, war die Wahrheit. Außer für sich selbst hatte sie nie für irgendwen oder irgendwas Verantwortung übernommen.
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