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Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:

Titel: Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:
Autoren: Carin Gerhardsen
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irgendwann eine eigene Wohnung mieten. Er wollte ein eigenes Leben.
    »Ich werde jetzt jedenfalls gehen, scheißegal, was du sagst«, schniefte Jocke und begann sich in Richtung Haustür zurückzuziehen. »Und morgen Abend fahre ich mit Jennifer nach Åbo«, fügte er hinzu und bereute sofort, das gesagt zu haben.
    »Einen Scheiß wirst du tun!«, brüllte sein Vater, schnellte aus dem Sessel empor und kam mit riesigen Schritten und der Zigarette im Mundwinkel auf ihn zu.
    Jocke lief durch die Diele und warf sich gegen die Wohnungstür, aber die Türkette war eingehakt, und während er verzweifelt versuchte, sie aus ihrer Schiene zu lösen, spürte er, wie sich der Arm seines Vaters von hinten um seinen Hals schloss. Er schraubte sich so fest um seine Kehle, dass er meinte, er müsse ersticken. Er versuchte den Ellenbogen in den Bauch seines Vaters zu rammen, aber dessen Griff wurde immer fester. Ohne dass er Widerstand hätte leisten können, drehte sein Vater ihn zu sich herum, was von einem unangenehmen Geräusch, einem Knacken in seinem Nacken, begleitet wurde. Während er noch nach Luft rang, rammte sein Vater ihm die Faust in den Bauch, und er brach auf der Fußmatte zusammen. Nach einem weiteren Tritt in den Bauch und einem gegen Mund und Nase beruhigte sich die Lage, und er blieb halb bewusstlos auf dem Fußboden der dunklen Diele liegen. Er nahm kaum wahr, wie sein Vater zu seinem Sessel ins Wohnzimmer zurückschlurfte und ungerührt in der Abendzeitung zu blättern begann.
    Er stellte sich Jennifer und ihre runden Formen in der engen Jeans vor, ihre weichen, glänzenden Lippen und ihre fröhlichen, graublauen Augen, die jederzeit und ganz unerwartet einen in sich gekehrten, fast scheuen Ausdruck annehmen konnten. Morgen würde er mit ihr im Ballsaal der Finnlandfähre tanzen und sie zu farbenfrohen Drinks an der Bar einladen. Sie würden miteinander schlafen, und er würde die weiche Haut mit dem blonden Flaum spüren, die zwischen Hosenbund und Hemdchen hervorschaute, und er würde die warmen, schimmernden Lippen küssen dürfen.
    Er musste eingeschlafen sein, denn als er die Augen wieder aufschlug, war das Licht im Wohnzimmer ausgeschaltet. Vorsichtig bewegte er Arme und Beine, und nachdem er festgestellt hatte, dass nichts gebrochen war, stemmte er sich hoch und richtete sich, gegen die Wohnungstür gestützt, auf. Sein Zwerchfell schmerzte, und er vermied es, seine pochende Nase zu betasten, während er sich so leise wie möglich zum Badezimmer schleppte. Er schloss die Tür hinter sich ab, bevor er den Lichtschalter betätigte und sich im Spiegel betrachtete. Das halbe Gesicht war von geronnenem Blut bedeckt, die Oberlippe geschwollen und aufgeplatzt. Als er vorsichtig die Nase abtastete, gab sie in der Gegend der Nasenwurzel ein unschönes Knirschen von sich. Er feuchtete ein Stückchen Toilettenpapier mit kaltem Wasser an und tupfte die Nase und die geplatzte Lippe ab. Anschließend wusch er sich vorsichtig die unverletzten Teile des Gesichts und putzte sich die Zähne.
    Zahnbürste und Zahnpasta steckte er in seine Sporttasche, die er aus der Garderobe herauskramte. Er stopfte seine Sportklamotten in eine der Rollkisten in der Garderobe und ersetzte sie durch eine Handvoll saubere Unterhosen, einen Pullover und eine Jeans. Anschließend schlich er sich in die Diele hinaus und zog sich im Dunkeln die Turnschuhe an.
    Schließlich tat er etwas, was er bis dahin niemals gewagt hatte. Er steckte seine Hand tief in die Innentasche des Mantels seines Vaters, zog die Brieftasche heraus und zählte das Geld. Dreitausend Kronen. Er nahm sich eintausendfünfhundert, steckte die Brieftasche zurück, legte seine Jacke über den Arm, hängte die Tasche über die Schulter und schlich ins Treppenhaus hinaus. Er warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass es gerade erst halb elf war.
    *
    Conny Sjöberg putzte, und Åsa packte. Die Familie – fünf Kinder zwischen zwei und neun Jahren, Åsa und er selbst – hatte den Freitagabend bei seiner Mutter verbracht. Sie wohnte eine halbe Stunde südlich der Stadt in Bollmora. Sie waren viel zu spät wieder nach Hause gekommen, und nachdem sie endlich alle Kinder ins Bett gebracht hatten, musste Åsa noch saubere Kleidung und Spielzeug für den kommenden Tag zusammensuchen. Sie wollte mit den Kindern den Zug nach Linköping nehmen und für ein paar Tage ihre Eltern besuchen. Simon und Sara hatten am Montag schulfrei, und Åsa musste nicht unterrichten, sodass sie
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