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Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:

Titel: Nur Der Mann Im Mond Schaut Zu:
Autoren: Carin Gerhardsen
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und ihre kämpferische Entschlossenheit in Selbstmitleid zerfließen lassen.
    Sie läuft mit einem Berg vollgespuckter Laken ins Badezimmer und stopft das Bündel in die Waschmaschine. Instinktiv fischt sie ein paar Stück Wäsche in ähnlichen Farben aus dem Wäschekorb und drückt sie mit hinein in die Trommel, bevor sie Waschpulver dazugibt und das Sechzig-Grad-Programm der wahrscheinlich überladenen Maschine einschaltet.
    Das Kind hört plötzlich auf zu schreien, und in der aufziehenden Stille hört sie ihren eigenen Magen nach Nahrung rufen. Sie selbst verspürt keinen Hunger, macht aber einen Umweg über die Küche, um sich die letzte braun gefleckte Banane aus der Schale neben der Spüle zu nehmen. Im selben Augenblick beginnt erneut das Geschrei im Schlafzimmer. Sie eilt zurück und nimmt den Jungen auf den Arm, setzt sich auf das Fußende des ungemachten Betts, legt das Kind mit dem Bauch auf ihre Knie und streichelt seinen Rücken. Im Fernseher vor ihr läuft ein amerikanischer Film, dem sie mit ausgeschaltetem Ton zu folgen versucht, während sie die Banane herunterwürgt und monoton das untröstliche Baby streichelt.
    Nur wenige Minuten später ist der Film vorbei, und der Abspann rollt über den Bildschirm. Sie schaltet den Fernseher aus, erhebt sich mühsam mit dem schluchzenden Kind auf dem Arm und tritt ans Fenster. Zwei Männer mittleren Alters gehen auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig vorbei. Etwas weiter entfernt ist ein junges Paar zu erkennen. Ihre Körperhaltung deutet an, dass es inzwischen nicht mehr regnet, keiner der beiden hat einen Schirm. Der ausdauernde Regen scheint endlich vorbei zu sein.
    Sie versucht, den Jungen vor sich auf die Fensterbank zu stellen und an den Händen festzuhalten, aber das will er nicht. Zornig strampelt er mit den Beinen, statt sich auf seine Füße zu stellen. Sie hebt ihn wieder hoch, legt seinen Kopf an ihre Schulter und riecht an seinem Haar. Es ist schweißnass, und sein Geschrei sticht wie Nadeln in ihren Ohren. Ihre Augen brennen, denn sie hat zu wenig geschlafen. Es bereitet ihr Schwierigkeiten, sie offenzuhalten, obwohl sie sich eigentlich alles andere als schläfrig fühlt. Widerwillig gesteht sie sich ein, dass sie in dieser Situation mehr Mitleid mit sich selbst empfindet als mit dem kleinen Menschen, den sie über alles liebt und der in ihren Armen so leidet. Wut steigt in ihr auf. Wahnsinnige Wut über dieses namenlose, ungreifbare, abstrakte Etwas, das ihren Sohn so quält und das sie nicht besiegen kann. Mit einem Seufzer steht sie auf und geht mit dem kleinen Jungen im Arm in die Diele hinaus.
    Bevor sie den Schlüssel in das Schloss steckt, zögert sie ei nen Augenblick, überlegt, ob man sich an so einem Freitagabend eher vor Einbrechern oder vor einem Feuer fürchten soll. Dann schließt sie die Wohnungstür sorgfältig von außen ab.
    *
    Lachen und fröhliche Stimmen klangen durch die ganze Wohnung. An diesem Abend schienen alle guter Laune zu sein, niemand zickte oder quatschte dumm herum. Die meisten saßen in der Küche, weil Solan mit ihrem neuen Typen im Wohnzimmer hockte. Dass sie auf Gesellschaft keinen großen Wert legten, hatten sie deutlich gemacht, indem sie die Tür zur Küche und die zum Flur geschlossen hatten. Am Küchentisch drängten sich nicht weniger als neun Leute, und auf dem Fußboden saß Elise, die sich an den Kühlschrank lehnte und ihren Drink neben sich abgestellt hatte. Ihr gegenüber saß Jennifer, die ebenfalls an einer Mischung aus selbstgebranntem Schnaps und Cola nippte.
    Bei ihnen zu Hause gingen ständig Menschen ein und aus. Schon am Vormittag kamen Leute hereingeschneit, und falls jemand auf dem Weg eingekauft hatte, gab es Kaffee und Butterbrote. Die Mutter hielt die Tür stets offen für alle Freunde und Bekannte, aber für die Verpflegung mussten sie selber sorgen. Früher hatte sie sich schwergetan, ihnen nichts zu essen anzubieten, aber schließlich hatte sie sich dazu durchgerungen, als sie wieder einmal im Kühlschrank und in den Schränken herumstöberten, seitdem respektierten alle die Entscheidung. Sie legte Wert darauf, dass die Mädchen jeden Tag ihr Frühstück bekamen und sich rechtzeitig auf den Weg machten. Sie schickte immer eine von ihnen zum Einkaufen in den ICA -Markt in Ringen, nicht aus Faulheit – Elise wusste, dass sie es eigentlich lieber selbst gemacht hätte –, sondern weil sie sich schämte rauszugehen. Elise und ihre Schwester aßen selten zu Hause Mittag, meistens
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