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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman
Autoren: Bernhard Aichner
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könnte sie nicht ertragen, dafür wollte sie nicht studieren. Dafür hatte sie nicht auf China geschissen.
    Hätten Sie eine Tüte für mich.
    Er schaute verwirrt zu ihr. Sie lächelte ihn an.
    Ich kann Ihnen das Geld in einem Kuvert geben.
    Nein, eine Tüte, bitte. Mings Beine zitterten. Ich habe keine Handtasche.
    Eine Tüte, bitte. Der junge Mann im Anzug schaute immer noch verwirrt, griff aber nach unten und holte ein Jausenbrot aus einer gelben Papiertüte. Das Brot legte er vor sich hin, die Tüte gab er Ming.
    Danke, sagte sie. Das ist sehr freundlich von Ihnen.
    Ming hatte das Gefühl, dass ihre Beine sie jetzt gar nicht mehr tragen wollten. Sie stützte sich fest mit ihren Händen ab und versuchte, das Lächeln in ihrem Gesicht echt aussehen zu lassen. Ihre Hände wirkten energisch, ihr Lächeln freundlich, aber ungeduldig.
    Ich habe das Auto draußen, es wäre freundlich, wenn Sie sich beeilen könnten, ich stehe im Parkverbot.
    Ming spürte, wie es überall warm war in ihr, in Schüben rollte es heiß durch ihren Körper, sie starrte auf die Tüte, sie drehte sich nicht um, sie starrte nur auf die Tüte, wie sie immer voller wurde. Sie würde sie gleich in ihre Hand nehmen und sich umdrehen, mit ihr hinausgehen auf die Straße und verreisen. Ein neues Leben sollte es werden. Endlich glücklich wollte sie sein. Einmal kurz nur. Egal, wie lange es dauerte. Kurz nur. Die Tasche war schwer. Ihre Schritte klein und hastig, die Tür kam immer näher. Die Tasche war in der rechten Hand. Der Bankangestellte schaute ihr nach. Sie presste ihre Kiefer fest aufeinander, er schüttelte den Kopf. Die Tür ging auf. Er nahm das Brot und biss heimlich ab. Die Sonne war draußen, die Tür ging wieder zu.
    Die Chinesin mit dem Geld war weg.
    Sie war jetzt auf der Straße, sie blieb nicht stehen, sie bog nach links und ging weiter. Die Tasche schwang vor und zurück, sie hing an ihrer Hand. Sie blieb nicht stehen, sie ging einfach. Sie drehte sich nicht um. Es war Tag jetzt. Die Sonne kam sanft in die Straße. Ming dachte an die Hütte in China. Sie ging immer geradeaus. Ihre Schritte waren schnell. Sie dachte an Ali, wie er müde Würste ins Wasser steckte. Sie dachte an den Sack, wie er sich im Wasser wand, wie er still wurde. Wie sie ihn nicht mehr sehen konnte. Wie er tot war. Sie ging immer weiter. Sie ging schnell. Sie atmete. Sie war stolz in diesem Moment. Sie ging weiter, immer die Straße entlang. Sie atmete, sie musste weg hier, sie atmete, sie musste verschwinden. Sie ging immer gerade­aus. Sie atmete. Ali durfte sie nicht finden. Sie atmete. Sie musste das Geld in Sicherheit bringen, weg von hier. Dann blieb sie stehen. Plötzlich.
    Eine Funkstreife bog vor ihr in die Straße. Sie blieb einfach stehen. Rührte sich nicht. Der Wagen fuhr langsam in ihre Richtung. Sie bewegte sich nicht. Atmete nur. Schaute nach links und rechts. Atmete. Bewegte sich nicht. Die Tüte in ihrer Hand. Sie zitterte. Dann sah sie die alte Frau auf dem Parkplatz. Sie saß in einem Campingsessel und grüßte freundlich, sie nickte und lächelte ihr zu. Ming atmete heftig und schaute zu der alten Frau hin. Sie hatte sie angelacht, freundlich mit ihrer Tasse gewunken, sie hochgehoben und in ihre Richtung gehalten. Ming bewegte sich immer noch nicht. Die Streife war jetzt neben ihr. Ming hielt den Atem an. Sie machte die Augen zu. Sie stand einfach nur da. Sie hörte den Wagen. Sie atmete. Sie hörte, wie er an ihr vorbeifuhr.
    Zwei Minuten blieb sie so stehen. Mit geschlossenen Augen. Als sie sie wieder aufmachte, sah sie wieder die Frau vor dem Wohnmobil. Sie winkte immer noch. Sie lächelte ihr zu. Es war etwas Vertrautes in dieser Sekunde. Ming ging zu ihr hin.
    Wollen Sie Kaffee.
    Die Frau in dem Campingsessel sprach mit Akzent, ihre Stimme war leicht und offen. Ming sah ihre Falten, als sie näher kam, die alten Hände und diese Augen.
    Gerne, sagte sie, ohne nachzudenken.
    Diese Einladung war wie Heimat. Sie fühlte sich geborgen. Sie wollte hier stehen bleiben, ausruhen, überlegen. Das Geld hielt sie fest in der Hand. Die alte Frau stand auf, um eine Tasse zu holen. Ming folgte ihr. Sie stieg ihr nach in den Bus und fragte, ob sie nicht im Schatten sitzen könnten, im Verborgenen, dachte sie.
    Die alte Frau nickte.
    Mirella heiße ich.
    Sie deutete auf das Sofa. Sie goss heißen Kaffee in eine Tasse und setzte sich.
    Wo wollen Sie hin, fragte Ming.
    Es war selbstverständlich, dass sie fragte, dass sie hier war und mit der
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