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Notruf 112

Notruf 112

Titel: Notruf 112
Autoren: Christian Seifert , Christian
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Papierlager in Flammen aufgegangen wäre. Noch fatalere Folgen hätte ein Wasserschaden gehabt. Der ganze Papierberg hätte sich vollgesogen und sein Gewicht vervielfacht. Dabei hätte das ganze Haus einstürzen können.
    Oft jedoch beschränkt sich die krankhafte Sammelwut nicht auf Papier. Da türmen sich dann Flaschen, Dosen, Müll, Papier, Plastiktüten, Fäkalien, lebendige und tote Tiere und auch Unmengen verdorbener Lebensmittel, die sich im Laufe der Zeit durch Teppiche und Dielen geschimmelt haben. Es ist ein Albtraum, gesundheitsschädlich sowieso und immer auch extrem ekelerregend. Mittlerweile kümmern sich Vereine, Behördenmitarbeiter, Spezialfirmen und oft auch Tierschutzmitarbeiter in bewundernswürdiger Weise darum, diese extremen Müllhalden zu beseitigen und den Bewohnern den Weg zurück in ein würdiges Leben zu ebnen. So beschränkt sich unser Einsatz dabei meist auf Wohnungsöffnungen, wenn es brennt oder akut um ein Menschenleben geht. Nicht immer aber kommen wir rechtzeitig. Noch heute sprechen wir manchmal von einem Fall, der an einem Dienstagmorgen mit einem Anruf über die Polizeileitung begann.
    »Kollegen, wir brauchen mal eure Unterstützung. Macht euch auf was gefasst«, sagte der Kollege aus der Einsatzzentrale der Polizei. Und er hat nicht übertrieben. Auf so etwas waren wir in der Tat nicht vorbereitet und nie zuvor und auch nie mehr danach sind wir auf so grauenhafte Weise mit einem Messie-Schicksal konfrontiert worden.
    Es handelte sich um eine Rentnerin, 67 Jahre alt. Früher hatte sie bei einer Versicherung gearbeitet, war eine gepflegte, patente Frau gewesen, die mit beiden Beinen fest im Leben stand. Bis ihr Lebenspartner an Krebs starb. Da ging es mit ihr bergab.
    Sie kümmerte sich um nichts mehr, kappte mit der Zeit sämtliche sozialen Kontakte, vernachlässigte sich und ihre kleine 30-Quadratmeter-Wohnung. Und sehr bald schon war das kleine Apartment ein Spiegelbild ihrer inneren Verwahrlosung. Die Nachbarn ahnten zwar, was in der Wohnung nebenan geschah, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Da die Rentnerin aber jeden Kontakt und am Ende auch alle Begegnungen vermied, kümmerte sich bald niemand mehr um sie. Auch die Geruchsbelästigung hielt sich in Grenzen, weil ihre Wohnung im zweiten Stock an einer Außengalerie im Freien lag.
    Die Wohnung war übrigens nicht ihre einzige Müllhalde. In der Nähe hatte sie noch einen Lagerraum angemietet, den sie ebenfalls vollstopfte.
    Im September, Oktober und November blieb sie dann plötzlich die Miete schuldig. Anfang Dezember klingelte der Vermieter an ihrer Wohnung. Dabei fiel ihm das Ungeziefer auf, das an der Scheibe des Oberlichts herumkroch. Außerdem stank es erbärmlich durch alle Ritzen.
    Von diesem Punkt an war es dann unser Fall. Das Nullachtfünfzehnschloss der Tür hielt den Werkzeugen der Kollegen nicht lange stand. Aber die Tür ließ sich nicht aufdrücken. Irgendetwas schien von innen mit großer Kraft dagegenzudrücken. Was dann geschah, übertraf sämtliche Erwartungen. Als die Kollegen nämlich schließlich die ganze Tür aushängten, wären sie um ein Haar unter einem raumhohen, von Ungeziefer durchsetzten Müllberg begraben worden, der aus dem Türrahmen herausquoll und sich immer wieder nachrutschend in den äußeren Flur ergoss. Es war der reinste Horror.
    War es wirklich möglich, dass hinter diesem Müllberg noch ein Mensch lebte?
    Mit Atemschutz und Schutzanzügen begannen die Kollegen, den Unrat abzutragen. Der von innen aufgetürmte Müllberg war sehr viel größer als erwartet. Falls die Frau noch da drinnen war, bedeutete es, dass sie diese Wohnung seit Wochen nicht mehr aus eigener Kraft hatte verlassen können.
    Mit jeder abgetragenen Schicht wurde der Geruch schlimmer. Jeder, der bei der Feuerwehr, der Polizei oder dem Rettungsdienst arbeitet, kennt diesen Geruch. So riecht der Tod, die Verwesung. Und dann kam etwas wahrlich Erschreckendes zum Vorschein: ein menschlicher Hinterkopf mit grauen, wirren Haaren. Etwa in Kniehöhe ragte er aus dem Müll. Es war eine Frau, natürlich die Bewohnerin. Sie steckte waagerecht auf dem Bauch liegend in dem entsetzlichen Schmutz. Was war da passiert? Wir zogen sie heraus. Es war kein schöner Anblick. Der Leichnam musste seit Wochen, vielleicht sogar Monaten im Müll gelegen haben, war bereits untrennbar mit Dosen und Papier verwachsen. Noch im Tod hielt die Ärmste einen Müllsack umschlungen.
    Die Polizei rekonstruierte später, was geschehen sein musste. Die
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