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Notruf 112

Notruf 112

Titel: Notruf 112
Autoren: Christian Seifert , Christian
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Hotel und sogar auf der Berghütte. Ich schaue jedenfalls immer genau, wo ich bin und wo der nächste Fluchtweg ins Freie ist. Typischer Feuerwehrfimmel. Das machen wir wohl alle. Dafür können wir nichts.

Wohnungsöffnungen
    Jeder Feuerwehrmann könnte sofort einen Schlüsseldienstservice eröffnen. In puncto Türen macht uns nämlich keiner was vor. Wir sind die Feuerwehr, wir kommen überall rein! An Gelegenheiten zum Üben mangelt es uns jedenfalls nicht. Denn jeden Tag machen wir im Schnitt zehn Wohnungen auf. Wir kennen jedes Schloss und jeden Riegel, und wenn die Tür Probleme macht, kommen wir eben durch die Fenster oder über den Balkon.
    Sobald Gefahr in Verzug ist, haben wir nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, auch in Abwesenheit der Bewohner in verschlossene Wohnungen einzudringen und nach dem Rechten zu sehen. Oft geht es dabei um Schadensbegrenzung. Eine gebrochene Rohrleitung, eine defekte Klospülung, ein kaputtes Eckventil für den Terrassenanschluss, aus dem das Wasser in Strömen aus dem dritten Stock auf die Straße rauscht – ganz klar ein Fall für die Feuerwehr.
    Nach Bränden werden nicht selten sämtliche Nachbarwohnungen nach weiteren Opfern abgesucht, die hilflos in verrauchten Wohnungen liegen könnten. Sehr oft ruft uns auch die Polizei zu Hilfe, wenn ein allein lebender Mensch plötzlich nicht mehr erreichbar ist oder aus einer Wohnung Hilferufe kommen. Da sind Menschen gestürzt oder kommen aus eigener Kraft nicht mehr aus der Badewanne heraus. Vielleicht ist auch jemand plötzlich schwer erkrankt, hat einen Selbstmordversuch unternommen oder ist psychisch völlig neben der Kappe. Bei letzterer Kategorie ist immer größte Vorsicht angebracht, denn manchmal greifen psychisch kranke Menschen urplötzlich aus dem Hinterhalt an. Da muss man wirklich mit allem rechnen.
    Oft rufen nach solchen Einsätzen Freunde, Verwandte, Kollegen oder Nachbarn bei uns in der Integrierten Leitstelle an und fragen nach: »In welches Krankenhaus habt ihr meine Mutter, meine Nachbarin, die Kollegin oder den Freund gebracht?« Sorry, Leute, diese Auskunft dürfen wir euch nicht geben. Auch wenn es 98 Prozent der Anrufer sicherlich gut meinen. Ich kann aber am Telefon wirklich nicht beurteilen, ob die von der Leiter gestürzte Kollegin im Krankenhaus wirklich Besuch vom halben Büro oder gar vom Chef bekommen möchte. Und ich wage gar nicht darüber nachzudenken, was der erwachsene Sohn wohl mit mir machen würde, wenn ich dem Vater erzählt hätte, dass der Filius sich fast um den Verstand gekifft hat und soeben in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Wir verweisen daher in solchen Fällen stets an die Polizei, die die besseren Möglichkeiten für eine Überprüfung der diversen Besuchsmotive und Verwandtschaftsverhältnisse hat.
    Hinter verschlossenen Wohnungstüren muss man immer mit allem rechnen. Vielleicht ist gerade niemand zu Hause. Manchmal jedoch machen die Leute einfach nicht auf – weil sie keine Lust haben, weil sie Angst haben, kein Hörgerät tragen, krank oder gestürzt sind. Oder – und das ist der traurigste Fall – weil der Bewohner nicht mehr lebt.Technisch gesehen, sind diese Einsätze meist kein Problem. Doch bekommt man oftmals unversehens Einblicke in Lebensläufe, die zuweilen so traurig und so ausweglos sind, dass man den einen oder anderen Eindruck so schnell nicht mehr los wird. Solch ein Fall war folgender.
Der Tod der Baronin
    Woher sie kam, wusste niemand. Und obwohl sie mehrere Jahre in ihrer geräumigen Eigentumswohnung im obersten Stock eines modernen Wohn- und Geschäftshauses in der Münchner Innenstadt lebte, konnte uns selbst der Hausmeister nicht sagen, wer sie eigentlich war. Weil die alte Dame einen Adelstitel trug, nannte er sie nur die »die Baronin«. Manchmal huschte sie wie ein kleiner schmaler Schatten durchs Haus. Sie grüßte nie, sprach mit niemandem, öffnete auch auf Klingeln nie die Tür, bekam nie Besuch und leerte nur sehr sporadisch ihren Briefkasten. Der Hausmeister ging schließlich einfach dazu über, die Werbesendungen in ihrem Briefschlitz auf eigene Faust zu entsorgen. Und so gewöhnte sich die ohnehin oft wechselnde Nachbarschaft daran, mit einem Geist unter einem Dach zu leben. Man respektierte einfach ihren selbst gewählten Rückzug.
    An einem Märztag rief die Hausverwaltung dann doch die Polizei an und bat um eine Wohnungsöffnung. Auslöser war offenbar eine lockere Verkleidung auf der Terrasse der Frau, die sich im Wind zu
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