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Nore Brand 03 - Racheläuten

Nore Brand 03 - Racheläuten

Titel: Nore Brand 03 - Racheläuten
Autoren: Marijke Schnyder
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dir, wenn sie ein Problem hat.«
    Nore Brand wollte etwas erwidern, doch sein Blick war schon wieder auf den Bildschirm gerichtet.
    Sie betrachtete die Zeichnung.
    Hatten ihre Zeichnungen damals auch so ausgesehen? Sie erinnerte sich an den Geruch der Farbstifte, wenn sie die bunte Blechschachtel öffnete. Am liebsten hatte sie Winterlandschaften gezeichnet mit Schneemännern und Massen von Schnee auf Dächern und Tannenbäumen. Wenn der Schnee richtig weiß aussehen musste, dann gehörte ein bisschen Blau dazu.
    Ihre Erinnerungen an jene Zeit waren schwach. Nur eines hatte sie nie vergessen: Die Erwachsenen damals waren Wesen aus einer anderen Welt. Sie redeten viel und laut, aber man konnte sie nicht verstehen. Sie waren andauernd mit unsichtbaren Dingen beschäftigt. Sie dachten immer an etwas und man durfte sie dabei nicht stören.
    Die stärkste Erinnerung aber war der Geruch der Farbstifte, der war jederzeit abrufbar, ganz frisch und eindeutig.

2 Nino Zoppa ermittelt ganz diskret
    Am Montagmorgen saß Nore Brand in aller Frühe auf dem Balkon. Es war kalt draußen, aber die Kälte tat ihr gut.
    Der Zug nach Interlaken fuhr um 9.04 Uhr. Wenn sie zügig ging, dann war sie in fünf Minuten auf dem Perron.
    Sie hatte Zeit.
    Vor ihr lag Informationspapier für den Kurs. Beim Durchblättern war ihr die Zeichnung von Wilma entgegengekommen.
    Dominik war schon am Samstagnachmittag wieder aufgetaucht. Wilma hatte ihr zugewinkt, als sie mit einem kleinen Jungen zum Spielplatz unterwegs war. Sie blieb kurz stehen. »Wir haben Dominik gefunden! Er hat ein Versteck im Garten!«, rief sie, dann winkte sie nochmals und rannte dem Jungen hinterher.
    Nore Brand erhob sich und ging in die Küche, um die Zeichnung an den Kühlschrank zu hängen. Immer fehlten Magnete. Sie bekamen Beine oder Flügel und weg waren sie. Vielleicht hing einfach zu viel da. Alte Konzertflyer, eine Tageskarte der SBB, eine Mahnung der Steuerbehörden und Postkarten. Zu Weihnachten und an Ostern eine von Maria Volta. Immer die Mittelmeerinsel Pantelleria.
    Und Grüße von Jacques, natürlich kulinarisch. Sie entfernte seine erste Postkarte von Rom, um Dominik Platz zu machen.
    Sie trat einen Schritt zurück. Schildkröten hatten weise, uralt und ein bisschen verdrießlich in die Welt hinauszuschauen. Ihre Verdrießlichkeit war begründet. Die Welt hatte sich nicht zu ihren Gunsten verändert. Ihre Artgenossen kämpften ums Überleben.
    Doch Wilma sah das offensichtlich ganz anders. In ihren Augen war Dominiks Gesicht heiter, der Mund breit und lachend.
    Vielleicht brauchte es andere Augen, um dieses Tier wahrhaftig zu sehen.
    Sie ging wieder hinaus.
    Sie warf einen Blick auf die Uhr. Doch, es war noch Zeit für eine Zigarette.
    Nore Brand fühlte sich wie das Kalb, das zur Schlachtbank geführt wird. Heute würde die Stunde der Wahrheit schlagen.
    In solchen Zeiten musste man nachsichtig sein mit sich selbst.
    Was sie selbst hin und wieder von sich selbst vermutete, würde auf einen Schlag ihr und zugleich allen Kursteilnehmern klar werden. Das Schicksal würde ihr die Maske vom Gesicht reißen, rücksichtslos und brutal.
    Man würde sie vor einen PC setzen, so wie alle anderen. Auf allen Bildschirmen würden Dokumente, Grafiken und Statistiken mit einem Schlag freudig aufleuchten.
    Auf allen, nur auf ihrem nicht. Ihr Bildschirm würde dumpf in den Raum schauen. Im allerbesten Falle vielleicht verzweifelte Signale senden: »Hier sitzt eine, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hat!« In unverschämt fröhlich bewegten Schriftzügen würden diese Worte einen endlosen Reigentanz aufführen.
    Die Kommissarin Nore Brand würde hilflos vor dem Bildschirm sitzen, weil sie keine Ahnung hatte, wie dieser Unsinn sich verhindern ließ.
    »Gebt mir einen kniffligen Fall, und ich lege los!«, würde sie zornig rufen. »Einen Fall, bitte! Was soll ich vor einem Bildschirm?«
    Der Dozent würde ihr zunicken, heiter und nachsichtig, so wie aufgeschlossene Dozenten dies zu tun hatten. »Wir sind hier mitten in einem kleinen Input, Frau Brand, eine kleine, gemeinsame Arbeitsbasis ist immer hilfreich. Die Fälle kommen später, sobald wir einen soliden Boden als gemeinsame Diskussionsbasis gelegt haben.«
    Nore Brand schlug mit der flachen Hand auf den Balkontisch, sodass dieser zu tanzen begann. Ja, genau so würde sie antworten, wenn der Chef sie zu ihrem nächsten Fall herbeirufen würde: »Entschuldige bitte, Herr Chef, zuerst der kleine Input, den brauche ich,
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