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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter
Autoren: Waris Dirie
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zwei schmalen Holzbetten frei, aber es war zumindest sauber, und es gab auch ein Bad. Wir schätzten uns wahrhaft glücklich, überhaupt eine Unterkunft zu haben. Ich duschte mit Salzwasser, das vom Meer hierher geleitet wurde, und dankte Gott für diesen Segen.
    An einem Gebäude nicht weit vom Hotel entfernt hing ein Schild der Vereinten Nationen, und am späten Nachmittag gingen Mohammed und ich dorthin. Über Mittag, in der heißesten Zeit des Tages, war alles geschlossen, und erst am Nachmittag wurde wieder geöffnet. Drinnen saßen ein paar Männer, und der Verantwortliche erklärte, er stamme aus Sierra Leone. Er hatte nicht die gleichmäßigen somalischen Züge – seine Nase war zu groß und sein Gesicht voller Pockennarben.
    »Was für ein Projekt ist das hier?«, fragte ich. Er warf mir einen seltsamen Blick zu, als ich weitersprach. »Mein Name ist Waris Dirie, und in ein paar Tagen bin ich wieder in New York bei den Vereinten Nationen. Ich nehme dort an einer großen Konferenz teil und möchte gerne nähere Informationen über die Projekte in Bosasso mitbringen. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
    Er nagte an seiner Unterlippe und blickte schweigend auf den Tisch. Schließlich wandte er sich an Mohammed und fragte misstrauisch: »Für wen arbeiten Sie? Was wollen Sie hier?«
    »Mein Name ist Waris Dirie, und ich arbeite für die Vereinten Nationen«, wiederholte ich.
    Aber er ignorierte mich, als sei ich taub oder blind, und schaute beharrlich Mohammed an. »Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?«
    Ich baute mich direkt vor ihm auf, sodass er mich nicht übersehen konnte. »Entschuldigung«, sagte ich, »ich rede mit Ihnen.«
    »Was machen Sie hier? Was ist los?«, schrie er, immer noch in Richtung meines Bruders.
    Zwei weitere Männer saßen weiter hinten im Raum, und da einer von ihnen einigermaßen intelligent aussah, sagte ich zu ihm: »He, Bruder, könntest du mir bitte helfen?«
    Er warf mir und dem alten Schreihals einen Blick zu, dann wandte er sich an seinen Freund und sagte: »Lass uns hier verschwinden.«
    Das kam mir verdächtig vor, und es machte mich umso entschlossener, etwas über dieses Projekt zu erfahren. Ich wandte mich wieder an den Mann aus Sierra Leone und sagte: »Entschuldigen Sie, mit allem gebotenen Respekt – aber sehen Sie mich bitte an. Ich rede mit Ihnen – nicht dieser Mann, er stellt Ihnen keine Fragen. Bitte schauen Sie mich an!« Der Mann wurde so wütend, dass er die Hand hob, um mich wegzustoßen, aber er hielt mitten in der Bewegung inne, als Mohammed sich vor ihm aufbaute. Mohammed sagte kein Wort, er stand einfach nur da. Dann erklärte er ihm ruhig, dass es uns lediglich um Informationen ginge. Wir wollten ihm keine Fehler oder Versäumnisse nachweisen.
    »Sie müssen sich schon genauer ausdrücken. Was wollen Sie?«, tat der Mann ahnungslos und nagte wieder an seiner Unterlippe.
    »Entschuldigen Sie bitte, wenn wir Ihnen das Gefühl vermittelt haben, wir wollten Sie ausspionieren. Ich hätte nur gerne Informationen über Frauen und Kinder und die diesbezüglichen Hilfsprojekte der Vereinten Nationen.«
    »Ah«, wich er aus. »Da kann ich Ihnen nicht helfen. Sie müssen zu dem anderen Gebäude gehen – dort drüben.« Er wies auf ein Betongebäude um die Ecke.
    Dort hing tatsächlich auch ein Schild über der Tür, das auf ein Projekt der Vereinten Nationen hinwies. Sechs oder sieben Männer saßen in dem einzigen Zimmer und spielten
shax
. Dabei gibt es zwei Spieler. Ein Mann zeichnet drei ineinander liegende Vierecke auf. Jeder Spieler legt zwölf kleine Steine auf die Ecken der Quadrate. Wenn man drei in einer Reihe hat, bekommt man die Steine des Gegners. Sie blickten nicht einmal vom Tisch auf, als wir eintraten. Als das Spiel beendet war, begrüßten sie uns widerstrebend, wobei sie genauso reagierten wie die Männer in dem anderen Gebäude. Alle dachten, ich versuchte, ihnen Geld aus der Tasche zu ziehen – obwohl ich ihnen erklärte, dass ich eine Freiwillige war und in friedlicher Absicht kam. »Ich bin nicht auf der Suche nach Arbeit und ich will mich auch nicht in Ihre Angelegenheiten einmischen«, beteuerte ich. »Nur aus Anteilnahme bin ich hierher gekommen. Ich liebe mein Land und würde gerne helfen. Da ich jetzt wieder nach New York zurückfliege, nehme ich nächste Woche an einer Konferenz mit wichtigen Persönlichkeiten der Vereinten Nationen teil. In dem Zusammenhang könnten ein paar Informationen nicht schaden. Für mich ist es wichtig
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