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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter
Autoren: Waris Dirie
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warteten, tranken wir Tee. Musa kam jedoch nicht, und Mohammed meinte, er sei sicher vor Erschöpfung zusammengebrochen. Schließlich fuhr er pausenlos, um Geld zu verdienen. Kurz entschlossen mieteten wir ein anderes Auto, um damit zum Flughafen zu gelangen, weil Mohammed am Abend zuvor dort niemanden mehr angetroffen hatte. Ein paar andere Gäste wollten ebenfalls mitfahren, und als wir starteten, winkten noch zwei und baten darum, mitgenommen zu werden. Das Auto war völlig überfüllt, aber wir halfen ihnen natürlich gerne.
    Der frühe Morgen ist die heißeste Tageszeit, weil kein Lüftchen geht. Als wir uns dem Flughafen näherten, blickte ich sehnsüchtig auf das blaue Meer, das in der Ferne schimmerte. »Welche Straße führt denn zum Meer?«, fragte ich, weil ich mich nach einem kühlen Bad sehnte.
    »Warum will sie das wissen?«, wandte sich ein großer Mann mit einer langen Stammesnarbe an Mohammed.
    »Hallo«, meldete ich mich zu Wort, »Sie brauchen nicht mit meinem Bruder zu sprechen. Ich sitze direkt neben Ihnen!«
    »Was will sie denn am Meer?« Er ignorierte mich einfach und redete weiter mit Mohammed.
    »Sehen Sie sich doch meine Kleider an. Sie sind völlig durchweicht, weil mir so heiß ist«, plapperte auch ich stur weiter. »Ich möchte mich ein wenig abkühlen und ein bisschen im Meer schwimmen.«
    »Sie sollten ihr besser sagen, dass wir hier nicht schwimmen«, erklärte er Mohammed. »Wir sind ein Wüstenvolk!«
    Am Flughafen ging Mohammed in das Gebäude, und ich wartete im Auto auf ihn. Er kam mit schlechten Nachrichten zurück. Damal Airlines landete erst in zwei Tagen, und so lange mussten wir in Bosasso warten.
    »Was?«, schrie ich. »Zuerst haben wir einen ganzen Tag gebraucht, um von Gelkayo nach Bosasso zu kommen, und jetzt dauert es noch mal zwei Tage, bevor wir fliegen können? Mohammed, ich hätte mindestens noch einen Tag mit Mutter verbringen können. Warum mussten wir denn so früh abfahren? Wir hätten erst morgen hier zu sein brauchen!«
    »Du musst in Bosasso sein, um einen Flug zu erwischen«, erklärte Mohammed. »Das ist die einzige Maschine, und es gibt keine Boarding-Pässe. Du musst unbedingt sicherstellen, dass du hineinkommst.«
    »Das ist ja lächerlich«, schimpfte ich. »Wir vergeuden zwei volle Tage, die ich noch mit meiner Familie hätte verbringen können.«
    »Nun, so ist es hier eben. Ärgere dich nicht! Wenn das Flugzeug kommt, kriegen wir schon einen Platz.«
    »Inschallah, wenn Allah es will«, sagte ich ergeben. Meine Mutter hat mir beigebracht, dass immer ein Sinn hinter Allahs Entscheidungen steckt; also beschloss ich, die Zeit zu nutzen, um den Leuten etwas über die Projekte der Vereinten Nationen zu erzählen. Ich wollte mich mit eigenen Augen von ihren Bedürfnissen überzeugen, um ihnen besser helfen zu können.
    Mohammed stellte mich einem weiteren Verwandten vor, wieder einem Mann, der unseren Vater kannte. Abdillahi Aden war der Direktor des Flughafens und er ließ für uns Plätze reservieren, ohne dass wir uns in die Warteschlange einreihen mussten. Anschließend fuhr er mit uns in die Stadt zurück. Auf der Fahrt redete er über die zahlreichen Bauvorhaben in Bosasso.
    »Wenn Menschen voller Hoffnung sind, wollen sie etwas tun«, sagte er. »Die Regierung in Somaliland hat eine gewisse Stabilität geschaffen, und jetzt kommen viele Leute nach Bosasso, um hier zu arbeiten. Die Stadt wird jeden Tag größer.«
    Mohammed erklärte ihm: »Meine Schwester ist aus New York und nach über zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder ins Land gekommen.«
    »Hiiyea! New York! Ich habe gehört, es soll sehr gefährlich dort sein«, meinte Abdillahi.
    »Ja, manchmal«, räumte ich ein.
    »Angeblich sollen sie dort auch Hunde essen.«
    »Nein«, sagte ich, »das ist ein Gerücht!«
    »Er meint Hotdogs«, unterbrach Mohammed mich. »Europäer und Amerikaner essen Würste, die Hotdogs heißen. Aber sie bestehen aus Schweinefleisch.«
    »Was für ein schrecklicher Ort«, äußerste Abdillahi mitfühlend, und ich merkte auf einmal, dass er mich nur necken wollte. »Wann kommt ihr beiden denn nach Somalia zurück? Es ist mittlerweile ein sicheres Land geworden, und wenn ihr wieder hier lebt, braucht ihr keine Hunde und Schweine mehr zu essen!« Er drängte Mohammed, zurückzukommen und sich am Aufbau des Landes zu beteiligen – aber Mohammed wich seinem Blick aus.
    Nach dem Essen führte Abdillahi uns in ein anderes Hotel. Dort hatten sie zwar nur ein Zimmer mit
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