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Noir

Noir

Titel: Noir
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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hinüber, der mit entblößtem Oberkörper in der Mitte stand.
    Er war kräftig wie ein Bär und fast genauso behaart. Schwarze, schweißgetränkte Löckchen fielen ihm in den Nacken, über der Stirn bildete sich bereits eine Glatze. Sein breites, braunes Gesicht wurde von einer seltsamen Traurigkeit, einer beinahe weiblichen Sanftheit überstrahlt. Langsam ließ der Araber die Arme sinken.
    «Hi!», sagte Julia.
    Ein Mann kam auf sie zugeeilt, dessen Gesicht eine übergroße Brille etwas Außergewöhnliches zu verleihen versuchte. Sein Hemd war bis oben hin zugeknöpft und die Cordhosen so eng, dass seine Männlichkeit ungesund gequetscht wirkte. Er wischte sich die Haare aus der Stirn und sah Julia mit freudiger Überraschung an, Nino warf er nur einen flüchtigen Blick zu.
    «Äh, ich hab sie eingeladen», sagte er an die Gruppe gewandt. «Das ist eine Freundin von mir …»
    «… Julia», sagte Julia selbstbewusst wie bei einem Bewerbungsgespräch.
    Nur der ferne Technobeat wummerte durch die Wände. Von der Decke rieselte ein wenig Schutt. Sie zog Nino neben sich. «Ich hab noch einen Kumpel mitgebracht.»
    Nino beließ es bei einem kleinen Gruß mit der Hand.
    Der Araber wandte sich an den Brillenmann. «River?»
    «Sie ist so drauf wie wir, also ich kenn die Frau.» Der Brillenmann wischte sich wieder die Haare aus dem Gesicht. «Sie wollte dich kennenlernen.»
    «Kommt her», befahl der Araber mit weicher, akzentfreier Stimme.
    Gehorsam traten Julia und Nino vor ihn. Eine Gänsehaut schoss Ninos Rücken herauf, als er ihm in die Augen sah.
Mord. In Wahnsinn, in Feuer. In einem Albtraum.
Erst jetzt bemerkte er, dass Monsieur Samedi einen Dolch in der Faust hielt.
    «Was sucht ihr?» Obwohl seine Stimme sanft blieb, schwang eine unüberhörbare Drohung darin mit.
    Nino schluckte. Abgesehen von Zeit hatte er nichts zu verlieren. Ein paar Zähne vielleicht. So gelassen wie nur möglich begann er: «Ich suche jemanden, der …»
    «Ihr macht doch Gläserrücken und so Zeug! Das soll wie ein Trip sein, oder?» Erwartungsvoll sah sich Julia nach dem Brillenmann um.
    Ein Zucken ging um Monsieur Samedis Mund. Seine dicken Zähne erschienen zwischen den Lippen wie Knochenstümpfe.
    «Ihr seid auf der Suche nach dem neusten Kick … ja? Und traut euch, zu mir zu kommen.» Sein Lächeln blieb liebevoll.
    «Was ich sagen wollte», erwiderte Nino und berührte Julia am Arm, damit sie ihn aussprechen ließ, «ist, dass ich bei eurem … also, dass ich mitmachen will. Ich habe Fragen.»
    Monsieur Samedis Lächeln war unerschütterlich. Aber er zog nur eine Show vor seinen Anhängern ab. Und wenn Nino sich umsah, bekam er nicht den Eindruck, als ließe der Araber nur die erlesensten Teilnehmer zu. Ein paar waren ganz offensichtlich auf Drogen. Die übrigen sahen aus wie frischgebackene Penner, die den Vorteil genossen, mit besonders wagemutigen Modefreaks verwechselt zu werden.
    Als fühlte Monsieur Samedi sich ertappt, hielt er ihnen die offene Hand hin. «Dreißig Euro. Pro Kopf.»
    «Dreißig?»
Julia drehte sich ungläubig zu ihrem Freund um. River kramte zwei zerknitterte Fünfer und einen Zwanziger aus der Hosentasche und bezahlte für das Mädchen.
    Nino klimperte mit den Wimpern. «Ich bin auch naturblond.»
    Offenbar verstand River keinen Spaß. Er glotzte ihn feindselig durch seine Brille an. Nino akzeptierte die Niederlage seines Charmes, zog seine Brieftasche aus der Hosentasche und nahm alles raus, was er noch hatte: 15  Euro in Scheinen und drei Euro Kleingeld.
    «Gibt es Gruppenrabatt?»
    Monsieur Samedi antwortete nicht einmal darauf. Nachdenklich ruhte sein leerer Blick auf Nino.
    «Warte, ich hab noch was», murmelte Julia und gab ihm das restliche Geld.
    «Danke», flüsterte er und suchte dabei Philip in der Menge. Offenbar hatte er nicht vor, sich zu seinen Freunden zu bekennen. «Du hast was bei mir gut.»
    Hinter dem Araber tauchte eine Gestalt mit Käppi auf, nahm das Geld und reichte Monsieur Samedi zwei weißgelbe Vitaminkapseln, die aufgebrochen und mit neuem Inhalt gefüllt worden waren.
    «Was ist das?»
    Wieder bekam Nino eine Gänsehaut. Irgendetwas beunruhigte ihn schrecklich, aber er kam nicht darauf, was. Jedenfalls waren es nicht nur die Pillen.
    «Das», der Araber hob die beiden Kapseln, um sie ihm und Julia in den Mund zu schieben, «ist euer Eintritt in eine andere Realität.»
    «Ich will wissen, was da drin ist.»
    «Ein Abenteuer!» Julia beugte sich vor und saugte die Kapsel
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