Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Noir

Noir

Titel: Noir
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
Vom Netzwerk:
umgebenen Anbau, der rund um die Halle verlief. Fenster und Türöffnungen klafften im rohen Beton der Wände. Er stieg durch einen von Plastikstreifen verhängten Durchgang und kam in einen brutkastenroten Raum, in dem zwei Männer Bierflaschen aus der Kiste, Wodka, Club Mate und Wasser verkauften. Auf den Überresten einer Couch neben der Bar saß Philip.
    Er unterhielt sich gerade mit zwei Mädchen, seinem Mitbewohner Jurek Itschik, den alle Itsi nannten, und einem jungen Mann, den Nino nicht kannte. Als Philip ihn entdeckte, stand er auf und begrüßte ihn.
    «Schön, dass du gekommen bist. Du hattest keinen Stress an der Tür.» Philip pflegte seine Fragen wie Feststellungen klingen zu lassen. Er war fast einen Kopf kleiner als Nino und wirkte in seinem Feinrippunterhemd dürr wie ein Kobold, trotzdem strahlte er die Autorität eines Mannes aus, der für seine Umgebung unentbehrlich ist. Er nahm die Planung und Ausführung seines Privatlebens so ernst wie ein Geschäftsmann seine Finanzen, vielleicht, weil er außer seinem Privatleben kein anderes hatte. Nino kannte ihn von der Kunsthochschule, die Philip nach nur einem Semester geschmissen hatte, um das echte Leben in seine Kunst zu lassen. Was für ihn ein und dasselbe war: Nächte wie diese.
    «Hat alles funktioniert», bestätigte Nino und tauschte einen Handschlag mit Itsi, der fast immer an Philips Seite war. Obwohl er ein auffällig schönes Gesicht mit markanten Zügen hatte, bekam er höchstens die Freundinnen der Mädchen ab, die Philip auflas. Aus irgendeinem Grund war er schüchtern.
    Philip stellte ihm die beiden Mädchen vor. Die Dunkelhäutige hieß Mona, die große Blonde Julia.
    «Der Typ arbeitet für Monsieur Samedi», sagte Philip ihm, ohne auf den jungen Mann zu zeigen, der mit übergeschlagenen Beinen danebensaß. Trotz der Hitze war er von Kopf bis Fuß in dunkle Kleidung gehüllt. Auf seinem Schoß lag ein Stoffbeutel, den er mit einer Hand an sich drückte.
    Philip beugte sich zu ihm vor. «Das ist Nino, ein guter Freund von mir!»
    Der Mann gab ihm flüchtig die Hand. Er trug schwarze Lederhandschuhe, eine Zigarette klemmte zwischen Zeige- und Mittelfinger. Sein Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Mehr registrierte Nino nicht. Irgendwie fiel es ihm schwer, den Fremden anzusehen; er vergaß die Merkmale seines Gesichts in dem Moment, in dem er ihn sah.
    Er fegte die Plastikbecher von einem Sessel und setzte sich dazu. Philip nahm sein Gespräch mit dem farblosen Mann wieder auf, wobei er sich mehrmals über Mund und Kinn fuhr, eine Geste der Nachdenklichkeit, die man an Philip selten sah.
    Itsi zückte seine Brieftasche, holte ein kleines Plastiktütchen hervor und schüttete den Inhalt auf seinen Ausweis. Nachdem er sich ein wenig vom glitzernden Pulver mit dem Finger in den Mund geschoben hatte, zerkleinerte er die Kristalle mit einer Kreditkarte. Die Mädchen fummelten einen Fünf-Euro-Schein aus einer Handtasche und rollten ihn zusammen. Als Itsi das Pulver in mehrere Lines aufteilte, blickte er zu Nino auf.
    «Willst du auch?»
    «Danke, später.» Er lächelte, obwohl er auch später ablehnen würde. Er suchte etwas Exklusiveres als Amphetamine.
    Itsi machte vier großzügige Lines und ließ den Mädchen den Vortritt, ehe er selbst den gerollten Geldschein an die Nase setzte und ihn an Philip weitergab.
    Nino beobachtete den farblosen Mann aus den Augenwinkeln, der wiederum tat, als würde er den Konsum nicht bemerken. Plötzlich schien sich der Beutel auf seinem Schoß zu bewegen. Er drückte ihn fester an sich. Nino blinzelte irritiert.
    Die Blonde begann zu lachen und zerrte an Philips Arm, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. «Weißt du, was Mona gerade gesagt hat?»
    «Ladys, ich bin in einer Sekunde für euch da. Jetzt rede ich mit Monsieur Samedis Assistenten.»
    Itsi, der immer wusste, wann er gebraucht wurde, bot den beiden gackernden Mädchen Zigaretten an. Ruhig inhalierte die Blonde den ersten Zug und richtete ihre Aufmerksamkeit dabei auf Nino.
    «Ich hab dich schon mal gesehen.»
    «Gut möglich», sagte Nino und blinzelte sich ihren Rauch aus den Augen. Sie war noch nicht lange in der Stadt, seit ein paar Monaten vielleicht, fürs Studium. Ihr Tod … die Folgen einer psychischen Erkrankung. Magersucht? Irgendwas in der Art.
    Ein nackter dunkler Arm schlang sich von hinten um ihren Hals. «… ich muss tanzen, Julia, lass uns tanzen!»
    «Kommst du mit?», fragte die Blonde, an ihre Freundin
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher