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Nördlich des Weltuntergangs

Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs
Autoren: Arto Paasilinna
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Gräten.
    An den heißen Spätsommertagen zogen am Himmel schwere Gewitter auf, für die diese Gegend berühmt war. Gewaltiger Druck entlud sich, der Wasserschlitten des Donnergottes rumpelte über das Dach der Welt. Blitze erleuchteten die von schwarzen Sturmwolken verdunkelte Landschaft. Nicht ohne Grund hatte man dem See den Namen des Donners, Ukko, gegeben. Niederprasselnder Platzregen löschte die von den Blitzen entzündeten Waldbrände, und von der Seeoberfläche stieg meterhoch das Spritzwasser auf. Doch jedes Mal, wenn die Kräfte des Himmels am schlimmsten wüteten, war etwas Merkwürdiges, war ein Wunder zu beobachten: Kein einziger Regentropfen fiel auf den Kirchenhügel, nicht auf die Baustelle, ja, nicht einmal auf das Gelände des künftigen Friedhofs, selbst wenn der See noch so wild schäumte und vom Himmel mehr Wasser fiel, als man in den dicken Wolken je vermutet hätte. Das ist die reine Wahrheit.
    Im August, gerade als Eemeli Toropainen mit seinen Männern die Fertigung des Dachreiters vorbereitete und von Ǻland die vereinbarte Wagenladung voll frisch geteerter Dachschindeln geliefert wurde, trafen auf der Baustelle alarmierende Nachrichten ein: Der russische Präsident war gestürzt und ans Schwarze Meer vertrieben worden, die jugoslawische Armee ging mit brutaler Waffengewalt gegen die kleine Teilrepublik Kroatien vor, und die Baubehörde hatte den Kommissar von Sotkamo eingeschaltet.
    Der Putsch in Russland, der blutig hatte werden sollen, wurde niedergeschlagen, in Jugoslawien und in Kainuu jedoch gingen die Aktivitäten weiter. Der Kommissar von Sotkamo ergriff die erforderlichen harten Maßnahmen. Im Polizeiauto, ausgerüstet mit Aktentasche, Handwaffen und Werkzeug und begleitet von uniformierten Beamten, rückte er an, um »auf der Stelle« den ungesetzlichen Kirchenbau zu stoppen.
    Außer dem Kommissar gehörten ein Wachtmeister und ein Hauptwachtmeister zur Mannschaft. Letzterer war der Hundertkilomann Sulo Naukkarinen, fünfundvierzig Jahre alt und welterfahren, denn er war dreimal auf Mallorca gewesen. Die strahlendste Perle in seinem Meritenverzeichnis war die Festnahme von vier Häftlingen, die 1977 aus der Haftanstalt Sukeva entflohen waren. Naukkarinen hatte sie zu Fuß gestellt und mit bloßen Händen überwältigt. Einer der Verbrecher hatte derartige Verletzungen davongetragen, dass er nie mehr die Flucht oder irgendeine Art der Fortbewegung ohne Rollstuhl in Erwägung ziehen konnte.
    Eemeli Toropainen war gerade dabei, Löcher für das Aufsetzen des Dachreiters zu bohren, und zwar auf der westlichen Front des Gebäudes, in mehr als fünfzehn Metern Höhe, vom Sockel an gerechnet. Die Beamten riefen ihm ihr Ultimatum zu, sie verlangten die »sofortige Beendigung aller laufenden Arbeiten und die juristische Beseitigung der Ergebnisse aller bisherigen gesetzwidrigen Maßnahmen«.
    Eemeli Toropainen befahl seinen Zimmerleuten, zu ihm heraufzuklettern und die für diesen Zweck bereitgelegten Teilstücke einer dicken Kette samt Schlössern sowie die aus dem groben Formstahl gedrehten Haspen und einen Hammer mitzubringen.
    Die Haspen wurden flugs an die Firstlatten genagelt, eine pro Person, und die Männer ketteten sich fest. Der Gehilfe verschluckte den Schlüssel, der das einzige vorhandene Exemplar war.
    Natürlich war die Presse zur Stelle: die schüchterne Praktikantin eines Lokalblattes, der Chefredakteur einer Regionalzeitung und ein paar andere Reporter. Der Tag war schön, gutes Wetter zum Fotografieren.
    Verhandlungen führten zu keinem Ergebnis. Die kriminellen Kirchenbauer hockten gefesselt in luftiger Höhe, entschlossen wie alte Stalinisten im Streik. Doch der finnische Staat beharrte unerschütterlich auf der Einhaltung seiner Gesetze. In diesem Falle war es Hauptwachtmeister Sulo Naukkarinen, der das Gesetz zu vertreten hatte und der seine Amtspflichten durchaus nicht vernachlässigte.
    Naukkarinen kletterte ohne Rücksicht auf seine hundert Kilo Gewicht am Baugerüst in schwindelerregende Kirchenhöhen hinauf, einen für solche Zwecke angeschafften Trennschneider mit sich führend, während unten der Kommissar und der Wachtmeister gleichzeitig ein Aggregat einschalteten, mit dem Kraftstrom in das Werkzeug geleitet werden konnte. Über eine derartige Ausrüstung verfügte die Polizei von Sotkamo, weil sie aus früheren Ereignissen ähnlicher Art gelernt hatte.
    »Direktor Toropainen! Sie als ehemaliger Fabrikant und Bahnbrecher des Exporthandels sollten sich
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