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Nördlich des Weltuntergangs

Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs
Autoren: Arto Paasilinna
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Zusammenhang noch der im Frühjahr verstorbene Asser Toropainen.

5
    Am Mittsommerabend wurde am Ufer des Sees ein riesiges Feuer abgebrannt, die Arbeiter hatten dafür die Holz- und Balkenreste aufgeschichtet. Aus den umliegenden Dörfern kamen zahlreiche Einwohner zum See, um ebenfalls Mittsommer zu feiern und das neue Gebäude zu bewundern. Der weiß schimmernde Kirchenrohbau spiegelte sich auf der stillen Wasseroberfläche wider, das knisternde Feuer schickte seine Funken hoch in den hellen Sommernachthimmel hinauf, und noch ehe der Holzstoß verkohlt war, ging die nimmermüde Mittsommersonne auf und vergoldete die Wipfel der jahrhundertealten Kiefern auf dem Kirchenhügel.
    Unmittelbar nach dem Fest reiste Eemeli Toropainens Ex-Frau in ziemlich gereizter Stimmung ab. Womöglich wurde ihr Aufbruch durch das Gerücht beschleunigt, dass Eemelis verständnisvolle Wirtin aus Vantaa beabsichtige, zur Baustelle zu kommen, um nach ihrem Untermieter zu sehen.
    Woher stammte diese Behauptung? Wie entstehen Gerüchte überhaupt, wie beginnen sie zu leben, zu wandern, zu wirken? Die boshafte Rede ist wie ein Bazillus, der von einem Menschen zum anderen springt, das jeweilige Objekt vergiftet und dann weiterzieht. Sie ist wie ein Missgeschick, das in Umlauf gesetzt wird, und jeder, der mit ihm zu tun bekommt, versucht es zu bekräftigen und zu beschleunigen, um es loszuwerden. Am Ende nimmt die boshafte Rede so gewaltige Ausmaße an, dass niemand mehr sie glaubt.
    In diesem Falle stimmte das Gerücht: Frau Taina Korolainen, eine vierzigjährige Zugreinigungschefin, geschieden und Mutter zweier erwachsener Kinder, heuerte bald nach Mittsommer als Köchin auf der Baustelle an. Sie erklärte, dass sie sich für den ganzen Sommer habe beurlauben lassen und dass sie die Absicht habe, Eemeli unter den harten Einödbedingungen gute weibliche Fürsorge angedeihen zu lassen. Die Arbeiter konnten dieses Arrangement nur loben.
    Den ganzen Sommer über dröhnten in der Wildnis die Axtschläge, die munteren Rufe der Bauleute schallten über den See, die Kirche wuchs immer weiter in die Höhe. Die Dachbinder wurden eingesetzt, der Baukörper gerichtet und die Firstlatten, unendlich viele an der Zahl, als Halter der Dachstühle justiert.
    Die wilden Tiere der Gegend sahen sich hauptsächlich nachts die Baustelle an: Die Füchse strichen misstrauisch um den Steinsockel der Kirche, und die dummen kleinen Julihäschen fraßen auf dem Holzplatz Sauerampfer.
    Stille Unglückshäher, die zuverlässigen und genügsamen Gefährten der Bauleute, flatterten in zugiger Höhe zwischen Firstlatten und Dachstühlen umher. Ihre Gesellschaft erfreute die Männer bei der Arbeit, die von morgens bis abends und oft auch bis in die Nacht dauerte.
    Einmal dehnte sogar eine neugierige Braunbärin aus Kuhmo ihren Ausflug bis zur Baustelle aus. Sie schlich sich heran wie ans Aas, betrachtete verdutzt das helle, nach Harz riechende Gebäude, sog den Schweißgeruch ein, der um die Zelte der Zimmerleute wehte, und die verlockenden Düfte der Fleischkonserven. Dann richtete sie sich auf und sah sich um, ob es in dem schlafenden Lager etwas Passendes zu fressen gäbe. Sie war so dreist – mit äußerster Vorsicht allerdings –, durch die Fensteröffnung in die Sakristei zu spähen und einen Blick auf Toropainen und seine Köchin zu werfen, die drinnen in tiefem Schlaf lagen. Jedoch war die Königin des Ödwaldes nicht mutig genug, mitten in der Nacht in den Raum hineinzustürmen, denn der behaarte und schnarchende Toropainen wirkte im nächtlichen Dämmerlicht sogar in den Augen einer Bärin furchterregend. Taina Korolainens weiße Hinterbacke, die unter der Decke hervorlugte, ließ der Bärin zwar das Wasser im Maul zusammenlaufen, und sie hätte zu gern zugebissen, doch klugerweise beendete sie ihren Baustellenbesuch und zog sich in ihr angestammtes Revier hinter Valtimo zurück.
    Nun war ihre Neugier zwar befriedigt, der Hunger aber nicht. Diesen Teil erledigte die Bärin, indem sie den pensionierten Postbeamten von Valtimo riss, als dieser in der Gegend von Rimminkorpi, einer für die Mordtat geeigneten Landschaft, Blaubeeren pflückte. Die freche Bärin marinierte ihre Beute sorgfältig in Moorwasser und tat sich fast drei Wochen lang an dem Postbeamten gütlich. Ausgezeichnet, wirklich lecker! Das Einzige, was ihr an dem Mann nicht schmeckte, waren die Gummisohlen seiner Turnschuhe. Die spuckte sie geschickt aus, so wie ein geübter Maränenesser die
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