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Nördlich des Weltuntergangs

Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs
Autoren: Arto Paasilinna
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Sorjonen, Eemeli zu operieren. Sie hatte im Lager der Chirurgischen Klinik von Helsinki die Ampullen besorgt, die Sorjonen haben wollte, und die könnte er für Eemelis Betäubung verwenden. Die Mischung aus Fliegenpilzextrakt, Äther und Spiritus mochte vielleicht für einen Bären geeignet sein, jedoch nicht für einen Menschen, und zumindest ihrer Meinung nach sah Eemeli mehr wie ein Mensch aus. Der Einsatz dieses Betäubungsmittels hätte zusätzlich den Vorteil, dass dann beim Patienten keine künstliche Beatmung vorgenommen werden musste. Taina hatte außerdem eine Rolle von dem hauchdünnen Nylongarn mitgebracht, das in der Herzchirurgie gebraucht wurde. Sie überreichte Sorjonen das Material, und er bedankte sich gerührt.
    An diesem Abend gingen Eemeli Toropainen und Seppo Sorjonen zusammen in die Sauna. Der Arzt schrubbte Eemeli den Rücken und untersuchte ihn. Sie machten nur leichte Aufgüsse und redeten ein ernstes Wort miteinander. Als sie dampfend herauskamen, sahen sie noch einmal nach dem Bären und gingen dann ins Haus. Die Entscheidung über die Operation war gefallen. Seppo Sorjonen gab den Frauen Anweisungen, was Eemeli an diesem Abend und am nächsten Morgen zu essen bekommen solle. Am nächsten Tag nämlich werde bei dem Stiftungsdirektor eine Bypassoperation vorgenommen.
    Der Eingriff erfolgte in Sorjonens Krankenhaus. Der dortige Operationsraum war wesentlich besser geeignet als die Kirche. Der Operateur stellte dank seines Übungsfalles fest, dass sich ein finnischer Mann nicht sehr von einem Bären unterschied, wenn man tief genug hineinging. Äußerlich war der Bär behaarter und irgendwie animalischer, aber bei einer Operation an den inneren Organen waren die Unterschiede gering.
    Eemeli erholte sich von der Operation schneller als der Bär, was möglicherweise daher kam, dass er sich über den Zweck der Operation im Klaren war und eine positive Einstellung dazu hatte. Wie auch immer, zwei Wochen später zog Seppo Sorjonen sowohl bei Eemeli als auch beim Bären die Fäden. Bei Letzterem war das nicht ungefährlich, denn der Patient versuchte, seinen Chirurgen zu beißen. Der Holzknebel, den Horttanainen ihm ins Maul gesteckt hatte, verhinderte jedoch das Unglück.
    Die Patienten waren jetzt in der Verfassung, dass sie die lange Fahrt ans Weiße Meer antreten konnten. So wurde der Bär wieder mit vereinten Kräften auf den Wagen gehievt, den zwei Ochsen ziehen sollten. Ein zweiter Wagen wurde mit Fassstäben, Fischereibedarf, Teer, Schnaps und anderen notwendigen Dingen beladen. Neben Eemeli Toropainen, Seppo Sorjonen, Taneli Heikura, Tuirevi Hillikainen und einigen Partisanen nahm diesmal auch Severi Horttanainen an der Expedition teil, denn seine düsteren Erinnerungen an Russland waren im Laufe der Zeit verblasst.
    Beim vorigen Mal hatte man eine Wasserstoffbombe transportieren müssen, jetzt aber herrschte Frieden, und außerdem nahmen zwei Herzpatienten an der Expedition teil, also wählte man eine leichtere Strecke. Zunächst ging es nach Sotkamo und von dort an die Grenze nach Kuhmo. Die Bewohner von Ukonjärvi hatten weiterhin das Recht, die Landesgrenze zu überschreiten, ein Verdienst ihres Feldpostens am Murtovaara. Die Grenzstation Kuhmo war im Krieg abgebrannt. Der Schlagbaum war offen, auf der Straße wuchs Moos, und die Schienen der Erzbahn von Kostamus waren mit dickem Rost überzogen. Aus der Sauna, dem einzigen Gebäude, das nach dem Brand von der Grenzstation übrig geblieben war, trat ein Feldwebel in abgenutzter Uniform. Er freute sich, dass nach Jahren wieder einmal Grenzgänger kamen, denn er war der einzige offizielle Vertreter Europas in diesem abgeschiedenen Winkel. »Nur zu, von mir aus können Sie gern nach Russland einreisen«, sagte er großzügig. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Ladung, schrieb sogar ein Zollformular aus, das er auch mit einem Stempel versehen hätte, wenn ein solcher in seiner Sauna vorhanden gewesen wäre. Als er den finster dreinblickenden Bären auf dem zweiten Wagen sah, kam er jedoch ins Grübeln, was die Zollgesetze wohl dazu sagten. Die Direktiven der Europäischen Union sahen keinen solchen Fall vor. Bei toten Tieren war der Grenzübertritt unproblematisch, sie waren letztlich nur Fleisch, aber dieser Bär lebte. Die Ochsen lebten ebenfalls, doch sie wurden als Zugtiere beziehungsweise Haustiere über die Grenze geführt. Aber ein Bär? Er war kein Zugtier, kein Haustier, kein Schoßtier. Der Feldwebel betrachtete den Petz
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