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Nördlich des Weltuntergangs

Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs
Autoren: Arto Paasilinna
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verpasste man ihm eine neuerliche Betäubung.
    Am Kronleuchter wurde die Infusionskanne aufgehängt, aus der ein Schlauch in die Vene der linken Tatze des Bären geführt wurde. In das Gefäß kamen mehrere Liter Salzlösung. Von der Kanzel aus wurde ein steifes Aluminiumrohr in den Schlund des Bären geführt, durch das Druckluft in seine Lunge gepumpt werden sollte, damit diese sich nicht während der Operation durch Unterdruck zusammenzog. Tuirevi Hillikainen stieg auf die Kanzel und machte sich bereit, in das Rohr zu pusten. Sie musste also während der ganzen Operation nicht nur beten, sondern auch für Überdruck in der Lunge des Patienten sorgen. Das anfallende Blut wollte Sorjonen mit einem Schlauch in einen Zuber führen, der unter dem Wagen bereitstand.
    Gegen Mittag waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Obwohl klares Wetter herrschte, wurden die Kerzen im Kronleuchter angezündet, denn Herzchirurgie verlangt Präzision.
    Nachdem alles fertig war, durchschlug Sorjonen mit der Axt den Brustknochen des Bären, und als die Öffnung groß genug war, begann er den Brustkorb aufzusägen. Die Sanitäter halfen beim Öffnen der Höhle. Severi Horttanainen steckte einen Holzknebel, den er für diesen Zweck geschnitzt hatte, zwischen die Flanken, damit sie sich nicht schließen konnten.
    Tuirevi Hillikainen begann in das Rohr zu pusten. In dieser Phase der Operation musste Sorjonen an das Werk Mein Leben als Chirurg denken, das er einst gelesen hatte. Darin berichtete Geheimrat Ferdinand Sauerbruch von seinen Erfahrungen. Der Geheimrat war der Erste gewesen, der eine Operation in einer Unterdruckkammer durchgeführt hatte. Und nun sorgte eine Pastorin auf der Kanzel für den Druckausgleich.
    Seppo Sorjonen öffnete auch ein wenig den vorderen Rand des Zwerchfells und den Herzbeutel, das Pericardium, wodurch das pulsierende Herz des Bären sichtbar wurde. Er tastete die Kranzarterien ab und fand sofort ein paar verhärtete Stellen, also die untrüglichen Zeichen für die Erkrankung. Bei einer Bypassoperation gehe es gerade darum, an diesen erkrankten Arterien gesunde vorbeizuführen, erklärte er seinen Hilfskräften, die mit einer Mischung aus Entsetzen und Neugier auf das zuckende Herz des Tieres starrten.
    Sorjonen trennte mehrere fünf Zentimeter lange Stücke aus der Beinvene. Drei Bypässe mussten gelegt werden, erforderlich waren also drei Venenstücke und insgesamt sechs Nähte. Beim Menschen betrug der Durchmesser der Sehnen etwa drei bis fünf Millimeter, wie Sorjonen wusste, dieser Patient jedoch hatte sieben Millimeter dicke Sehnen.
    Als alles für die wichtigste Phase der Operation bereit war, wurde das Herz des Patienten zum Stillstand gebracht. Das geschah einfach dadurch, dass mit einem Eisbeutel die Temperatur abgesenkt wurde, sodass das Herz immer langsamer schlug, bis es ganz stehen blieb. Rasch legte Sorjonen die Bypässe, dabei wurden die offenen Venen mit eigens angefertigten Wäscheklammern, die an den Innenseiten weich gefüttert waren, abgedrückt.
    Die Arbeit war anstrengend und verlangte äußerste Konzentration. Außerdem musste Sorjonen sich beeilen, denn allzu lange durfte das Herz des Patienten nicht still stehen. Henna Toropainen-Heikura wischte dem Chirurgen den Schweiß von der Stirn. Severi Horttanainen ging in die Sakristei, um zur Beruhigung eine Zigarette zu rauchen. Die jüngeren Gehilfen reichten Sorjonen die Instrumente. Nachdem er die Bypässe noch einmal sorgfältig kontrolliert hatte, ließ er den Eisbeutel entfernen, nähte den Herzbeutel zu und registrierte, dass der Herzmuskel wieder zu zucken begann. Die kritischste Phase der Operation war vorbei.
    Zuschauerin bei dieser feierlichen und spannenden Aktion war eine kleine Kirchenmaus, vielleicht eine Nachfahrin jener Maus, die einst in Asser Toropainens Pelzmütze nach Ukonjärvi gelangt war. Wie dem auch sei, das Mäuschen, das durch einen Türspalt aus der Sakristei in den Saal lugte, kam, neugierig und von den interessanten Gerüchen angelockt, näher, es huschte an der Wand entlang und dann im Schutz der Kirchenbänke bis unter den Operationswagen. Dort lagen Spritzer von frischem Bärenblut, die das Mäuschen schnell und ungeniert aufleckte. Es war ein mutiges und blutrünstiges Mäuschen und hatte es nicht eilig, wieder in die Sakristei zu gelangen.
    Der Holzstab, der den Brustkorb des Bären offen gehalten hatte, wurde entfernt und die Höhle zugenäht. Nur der Schlauch, durch den das Blut abfloss, blieb
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