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Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit

Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit

Titel: Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Autoren: Britta Strauss
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Baumwollpappeln, dass sie glaubte, der Wind und die Bäume unterhie l ten sich miteinander. Wovon sie wohl erzählten? Hatten sie schon hier gestanden, als man das Land noch gar nicht kan n te? Vielleicht waren damals auch dort Pappeln, Wacholder und Eichen gewachsen, wo man jetzt die Felder bestellte. Vielleicht war hier früher alles voller Wald g e wesen, und die Wilden mit den Tierhäuten und den Hörnern auf dem Kopf hatten darin gehaust.
    Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund. Cynthia streckte sich. Jeder Muskel ihres Körpers schmerzte. Sie hatte bei der Kartoffelernte geho l fen, das geschnittene Korn gemeinsam mit ihrer Cousine Rachel zu Ga r ben gebunden, die Hühner gefüttert und die Kuh gemolken. Sie half so gut sie konnte, doch die Arbeit wurde niemals weniger. Ihr Vater ließ seinen Zorn an seiner Familie aus und fiel Abend für Abend todmüde ins Bett, ihre Mutter weinte sich in den Schlaf.
    Ein Paradies hatte man ihnen versprochen, in dem sich einem mit w e nig Mühe ein sorgloses Leben voller Überfluss eröffnete. Fruchtbares Land sollte es im Westen geben, Sonnenschein und Freiheit. Bekommen hatten sie etwas, das ihre Mutter als Vorhof der Hölle bezeichnete. Nichts war besser geworden. Nur schlimmer.
    Aber in Momenten wie diesen, wenn der Fluss in der Abendsonne glitzerte, das Gras sich flüsternd wiegte und der Duft des Sommerabends aufstieg, dämmerte das Land so prachtvoll im goldenen Licht dahin, wie man es vom Paradies erwartete.
    Cynthia hob einen Fuß aus dem Wasser und beobachtete, wie fu n kelnde Perlen von ihren Zehen tropften. Etwas keckerte ganz in der Nähe. Ein Streifenhörnchen, das durch das Geäst eines Ahornbaumes sprang. Wie gern wäre sie in seine Haut geschlüpft. Was taten diese W e sen weiter, als nach Essen zu suchen, zu spielen und zu schlafen? Manchmal klauten die Tierchen Nüsse aus der Schale, die auf dem K ü chentisch stand, oder sie bedienten sich am Schweinetrog. Hin und wi e der geriet auch mal eines in eine Falle oder wurde von einer Kornweihe erlegt, doch abgesehen davon war das Leben der Streifenhörnchen par a diesisch. Es war genauso paradiesisch wie das Dasein der Forellen, die in der Strömung des Flusses schwammen, oder wie das der Rotluchse, die in der Nacht um das Fort streiften.
    Cynthias Gedanken begannen , um ihre Großmutter zu kreisen. Elenore war tot, obwohl sie noch lebte. Den ganzen Tag starrte die alte Frau ins Leere, als nähme sie nichts mehr wahr. Was, wenn sie sich b e wegen und reden wollte, aber es nicht konnte? Die Vorstellung, im eig e nen Körper gefangen zu sein, war so schrecklich, dass Cynthia nicht darüber nachdenken wollte. Leise sang sie ihr Lieblingslied, um die l e benden Toten aus d em Kopf zu vertreiben.
    „Frà Martino, campanaro . Dormi tu? Dormi tu ? Suona le campane, suona le campane ! Din don dan, din don dan.”
    Das Lied tröstete und tat weh. Ein Spanier hatte es ihr während der langen Wochen der Reise beigebracht. Kurz vor Erreichen ihres Ziels war er an einer Blutvergiftung gestorben. Cynthia vermisste ihn. Vor allem vermisste sie die Stimmung, die der Mann heraufbeschworen hatte, ganz gleich, wie mühsam der Tag gewesen war. Wenn am Abend viele Stimmen den Kanon gesungen hatten, waren in Cynthias Wahrnehmung die Glocken zu hören gewesen. Din don dan, din don dan. Alle hatten gel ä chelt. Alle waren glücklich gewesen. Für die Dauer des Liedes.
    Ein Flusskrebs stakste gemächlich über die Kieselsteine. Cynthia be o bachtete ihn voller Neid, so wie sie alle Tiere beneidete, die frei lebten. In ihren Träumen setzte ihr niemand Grenzen. Ihre Träume machten alles möglich, was die Wirklichkeit nicht zuließ. Was wäre, wenn sie jetzt ei n fach loslief? Auf den Horizont zu, so schnell , wie ihre Beine sie trugen? Immer weiter und weiter. Bis alles aufhörte.
    „Abendessen!“ , schallte die Stimme ihres kleinen Bruders zu ihr he r über. „Kommst du?“
    Cynthia rollte mit den Augen. Die kostbare Zeit des Alleinseins war vorbei. Sie stand auf, streckte sich und klopfte den Staub von ihrem Baumwollkleid. Es war zerrissen und dreckig, aber niemand, am allerw e nigsten sie selbst, störte sich daran.
    Langsam ging sie, um noch eine Weile die Ruhe genießen zu können. Warm fühlte sich die staubige Erde unter ihren Füßen an, trocken und hart das Gras. Blickte man von hier aus auf das Fort, sah es friedvoll aus. Die Ansammlung wackliger Blockhäuser umsäumt von Mais-, Tabak- und Kornfeldern. Dahinter erstreckte
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