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Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders

Titel: Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
Autoren: PeP eBooks
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gleitet die nächtliche Stunde in den Schlaf hinüber.
    Noah wird zu einer verschwommenen Erinnerung. Ich spüre allmählich nicht mehr, wie sehr seine Gegenwart mich verwirrt hat; das Schwindelgefühl löst sich in eine diffuse Wolke von Wohlbehagen auf.
    » Wie kommt es, dass ich ihn noch nie gesehen habe?«, frage ich.
    » Vielleicht hast du nur auf den richtigen Augenblick gewartet«, sagt Tony.
    Vielleicht hat er recht.

Paul ist schwul
    Ich habe immer schon gewusst, dass ich schwul bin. Aber erst im Kindergarten haben mir das dann auch andere bestätigt.
    Meine Erzieherin stellte es kurz und bündig fest. Es stand auf der Karteikarte, die sie für jeden von uns anlegte: » PAUL IST ZWEIFELLOS SCHWUL UND HAT EINE SEHR GUTE SELBSTEINSCHÄTZUNG.«
    Ich konnte damals schon lesen und entdeckte diese Notiz eines Tages auf ihrem Schreibtisch, kurz bevor wir unser Mittagsschläfchen halten sollten. Und ich muss gestehen: Ich hätte nicht gemerkt, dass ich anders bin als die andern, wenn Mrs Benchly mich nicht darauf gestoßen hätte. Ich war damals fünf und ging einfach davon aus, dass alle Jungs sich zu anderen Jungs hingezogen fühlten. Warum hätten sie sonst ihre ganze Zeit miteinander verbringen, in Mannschaften zusammen Sport treiben und sich über Mädchen lustig machen sollen? Weil wir uns alle mochten, das war doch klar. Wozu es Mädchen eigentlich gab, hatte ich noch nicht ganz herausgefunden, aber bei der Sache mit den Jungs glaubte ich mich eins a auszukennen.
    Entsprechend groß war meine Überraschung, als ich herausfand, dass ich das ganz und gar nicht tat. Als ich sämtliche Karteikarten durchging, stellte ich nämlich fest, dass kein einziger anderer Junge mit dem Etikett » ZWEIFELLOS SCHWUL« versehen worden war. (Gerechtigkeitshalber muss ich aber erwähnen, dass auch bei keinem anderen » SEHR GUTE SELBSTEINSCHÄTZUNG« vermerkt war.) Mrs Benchly erwischte mich an ihrem Schreibtisch und wirkte ziemlich alarmiert. Weil ich völlig verwirrt war, bat ich sie um Aufklärung.
    » Bin ich wirklich schwul?«, fragte ich.
    Mrs Benchly schaute mich an und nickte.
    » Was ist denn schwul?«, fragte ich.
    » Schwul ist, wenn ein Junge andere Jungen mag«, erklärte sie.
    Ich deutete in die Malecke, wo Greg Easton auf dem Fußboden mit Ted Halpern raufte.
    » Ist Greg auch schwul?«, fragte ich.
    » Nein«, antwortete Mrs Benchly. » Zumindest noch nicht.«
    Interessant. Ich fand das alles sehr interessant.
    Mrs Benchly erklärte mir danach noch mehr– die ganze Jungs-lieben-Mädchen-Kiste. Ich kann nicht behaupten, dass ich sie verstanden habe. Da fragte sie mich, ob mir denn schon aufgefallen sei, dass zu einer Ehe meistens ein Mann und eine Frau gehörten. Es war mir bis dahin noch nie in den Sinn gekommen, das so zu betrachten. Ehe hatte etwas mit Liebe zu tun? Ich hatte immer geglaubt, dieses Männer-Frauen-Arrangement sei noch so was Seltsames, was sich Erwachsene eben ausdenken, ähnlich wie Zahnreinigung mit Zahnseide. Jetzt erzählte mir Mrs Benchly etwas, das viel schwerwiegender war. Das mir wie eine weltweite, dumme Verschwörung vorkam.
    » Aber da spür ich nichts«, protestierte ich. Einen Augenblick lang war ich abgelenkt, weil Ted gerade Greg Easton das T-Shirt über den Kopf zog, was ich irgendwie cool fand. » Was ich fühle, ist doch richtig… oder?«
    » Für dich schon«, verkündete Mrs Benchly. » Was du fühlst, ist für dich absolut in Ordnung. Vergiss das nie!«
    Und das hab ich auch nicht. Mehr oder weniger.
    Am Abend behielt ich meine große Neuigkeit für mich, bis meine Lieblingssendung auf Nickelodeon vorbei war. Mein Vater war in der Küche, wo er den Abwasch machte. Meine Mutter war mit mir im Wohnzimmer und lag lesend auf der Couch. Ich schlich mich leise an sie ran.
    » RATE MAL!«, brüllte ich. Sie zuckte zusammen, bemühte sich dann aber, so zu tun, als hätte ich sie überhaupt nicht erschreckt. Weil sie ihr Buch nicht ganz zuklappte, sondern nur den Finger zwischen die Seiten klemmte, wusste ich, dass ich nicht viel Zeit zur Verfügung hatte.
    » Was ist denn?«, fragte sie.
    » Ich bin schwul!«
    Eltern reagieren nie so, wie man sich das vorstellt. Ich hatte damit gerechnet, dass meine Mutter zumindest ihren Finger aus dem Buch nehmen würde. Aber nein. Stattdessen drehte sie den Kopf in Richtung Küche und rief meinem Vater zu: » Schatz… Paul hat ein neues Wort gelernt!«
    Meine Eltern haben dann ein paar Jahre gebraucht. Aber schließlich haben sie sich daran
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