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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika
Autoren: Stefanie Zweig
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1938
    Lieber Süßkind!
    Ich weiß nicht, wie lange der Boy mit diesem Brief unterwegs sein wird. Ich habe vierzig Fieber und bin nicht immer klar im Kopf. Falls mir was passieren sollte, findest Du die Adresse von meiner Frau im Kästchen auf der Kiste neben meinem Bett.
    Walter
    Rongai, den 4. April 1938
    Meine geliebte Jettel!
    Heute kam Dein Brief mit der so sehnsuchtsvoll erwarteten guten Nachricht. Süßkind hat ihn von der Bahnstation mitgebracht und ist natürlich schrecklich erschrocken, als ich in Tränen ausbrach. Stell Dir vor, dann hat der lange Lulatsch von einem Mann mitgeweint. Das ist das Gute, wenn man ein Refugee und kein deutscher Mann mehr ist. Man braucht sich seiner Tränen nicht zu schämen.
    Wie lang wird mir die Zeit bis Juni werden, bis Ihr an Bord geht. Wenn ich mich richtig erinnere, ist die »Adolf Woer-mann« ein Luxusschiff und fährt rund um Afrika. Das heißt, daß Ihr oft und lange in den Häfen anlegen und länger unterwegs sein werdet als ich mit der »Ussukuma«. Versuche, die Zeit so gut wie möglich zu genießen, aber es ist besser für Euch, wenn Ihr Euch an Menschen haltet, die Neujahr im September feiern. Sonst gibt es überflüssige Probleme. Ich habe mich auf der Reise zu sehr in meiner Kabine verkrochen, und es war doch die letzte Gelegenheit, mit Menschen zu reden.
    Schade, daß Du meinem Rat mit der Drei-Bett-Kabine nicht gefolgt bist. Das hätte uns viel Geld gespart, das uns nun hier fehlen wird, und dem Kind hätte eine fremde Schlafgenossin bestimmt nicht geschadet. Sie muß lernen, daß sie zwar Regina heißt, aber keine Königin ist.
    Ich will jedoch nicht mit dir in einem Moment rechten, in dem ich so dankbar und glücklich bin. Es ist jetzt wichtig, daß Du deine Sinne beisammen hast und zusiehst, daß die Kisten mit Euch reisen können. Nicht, weil wir die Dinge so nötig brauchen, doch habe ich von Leuten gehört, die sich ihr Auswanderungsgut haben nachschicken lassen und heute noch darauf warten. Ich fürchte, Du hast nicht verstanden, wie wichtig ein Eisschrank für uns ist. In den Tropen braucht man den so nötig wie das tägliche Brot. Du solltest Dich doch noch mal bemühen, einen zu finden. Süßkind könnte mir Fleisch aus Na-kuru mitbringen, ohne Eisschrank ist es jedoch schon nach einem einzigen Tag verdorben. Und Mr. Morrison nimmt es als Chef sehr genau. Eins seiner Hühner darf nur dann geschlachtet werden, wenn er auf die Farm kommt. Ich bin froh, daß er mich wenigstens die Eier essen läßt.
    Gratuliere zur Petromaxlampe. Da müssen wir nicht mit Mr. Morrisons kostbaren Hühnern zu Bett gehen. Das Abendkleid hättest Du nicht kaufen sollen. Hier wirst Du keine Gelegenheit haben, es zu tragen. Du bist nämlich gewaltig im Irrtum, wenn Du glaubst, Leute wie Rubens würden Dich zu ihren Gesellschaften einladen. Erstens besteht eine gewaltige Kluft zwischen den alteingesessenen, reichen Juden und uns mittellosen Refugees, und zweitens lebt die Familie Rubens in Nairobi, und das ist weiter entfernt von Rongai als Breslau von Sohrau.
    Ich darf Dir Deine falschen Vorstellungen von Afrika jedoch nicht verübeln. Ich hatte ja auch keine Ahnung, was uns erwartet, und staune immer noch über Dinge, die Süßkind nach zwei Jahren selbstverständlich findet. Suaheli kann ich schon recht gut und merke immer mehr, wie rührend sich Owuor um mich sorgt.
    Ich war nämlich krank. An einem Tag hatte ich hohes Fieber, und da hat Owuor darauf gedrungen, daß ich nach Süßkind schickte. Der kam noch spät in der Nacht hier an und erkannte sofort, was mit mir los war. Malaria. Zum Glück hatte er Chinin dabei, und es ging mir schnell wieder besser. Du darfst jedoch nicht erschrecken, wenn Du mich siehst. Ich habe sehr abgenommen und bin ziemlich gelb im Gesicht. Du siehst, der kleine Spiegel, den mir Deine Schwester zum Abschied schenkte und der mir damals so überflüssig vorkam, ist doch sehr nützlich. Leider erzählt er meistens unerfreuliche Geschichten.
    Durch meine Krankheit ist mir klargeworden, wie wichtig  Medikamente sind in einem Land, in dem man nicht nach dem Arzt telefonieren kann und ihn auch gar nicht bezahlen könnte. Vor allem brauchen wir Jod und Chinin. Deine Mutter wird bestimmt einen Arzt kennen, der es noch gut mit Menschen wie uns meint und der Dir die Sachen verschafft. Laß Dir auch erklären, wieviel Chinin man einem Kind gibt. Ich will Dir keine Angst machen, aber in diesem Land muß man lernen, sich selbst zu helfen. Ohne Süßkind
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