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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb
Autoren: Hans Gruhl
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Mutter.«
    Er antwortete nicht. Elsie blieb bei
ihm. Ich hielt das Bild hoch.
    »Im Februar 1939 wurde eine Frau von
ihrem Mann geschieden, »sagte ich. »Er hieß Stefan Reinold, und sie muß ihn
sehr geliebt haben. Nach der Scheidung bekam sie ein Kind, aber auch das half
ihr nicht darüber weg. Sie drehte den Gashahn auf, am 6.1.1940.«
    Die Pillen wirkten wunderbar. Ich
sprach friedlich, als erzählte ich ein Märchen von Andersen.
    »Das Kind wuchs bei Verwandten auf. Die
Lieben sorgten dafür, daß Reinold nie etwas von dem Kind erfuhr. Dafür erzählten
sie dem Jungen die Geschichte, als er alt genug war. Dieser Junge bist du,
Jühl.«
    Elsie hatte ihre Hände immer noch auf
Jühls Arm, aber zum erstenmal streifte ein kurzer Blick von ihr sein Gesicht.
    »Dann bist du Schauspieler geworden.
Kein Wunder, bei dem Stammbaum. Dann hast du dir in dem ersten Film mit Reinold
deinen Alten angesehen. Und dann bist du darauf gekommen, den großen Rächer zu
spielen, wie in einem schlechten Drehbuch von Trubo.«
    Weil niemand etwas tat, nahm ich einen
Schluck Bier.
    »Du bist in der Nacht in die Halle
gegangen, um den Scheinwerfer loszuschrauben. Der fleißige Trubo war noch auf
und hat dich gehört. Du hast ihn auch gehört und hast an der Tür rumprobiert.
Ich weiß nicht, ob du mich umgebracht hättest, wenn sie offen gewesen wäre — nehmen
wir ruhig an, du wolltest mir nur eine friedliche Nacht wünschen.
    Am nächsten Tag kam die Szene mit Paul,
dem schwer getroffenen Vater. Du standest neben mir an der Tür zum anderen
Raum. Bevor das zweitemal gedreht wurde, hast du dich unauffällig in die andere
Bude gedrückt. Keiner bemerkte etwas. Aber du konntest auch nicht merken, daß
Reinold aufstand und Serkoff sich dafür auf seinen Thron setzte. Und als die
Szene lief, zogst du kurz und kräftig an dem Stromkabel, das drüben hing. Dann
bist du schnell wieder durch die Tür gehuscht, neben mich hin. Und da sahst du
den Irrtum, wie Serkoff immer sagte. Muß das eine Freude gewesen sein.«
    Ich holte tief Atem. Elsie ließ Jühls
Arm langsam los.
    »So war das, Jühl. Ich erinnere mich
noch genau, daß ich mich vor Schreck an dir festhalten wollte, als das Ding
runterkam, und ich griff in die Luft, weil du noch nicht wieder am richtigen
Platz gestanden hattest. Ja. Deinem Vater half der Irrtum nicht viel. Zwei Tage
später war er dran. Du hast gewartet, bis alle aus dem Vorführraum raus waren.
Dummerweise bin ich auch rausgegangen, weil die gute Elsie nicht duldet, wenn
ich unentschuldigt fernbleibe. Du hast Pauls Garderobenmantel angezogen, um die
Sache ein bißchen zu verwickeln. Und du hast ein Messer von der HJ genommen,
damit man auf die entsprechenden Jahrgänge tippen sollte. Man kriegt die Dinger
bei jedem Trödler, aber der Kommissar jagte mir damit einen niedlichen
Schrecken ein. Na, und dann bist du kurz in den Vorführraum gegangen und hast
sogar riskiert, daß der Vorführer dich sieht. Er hat sich nicht gesehen, dein
Papa hat sich nicht um dich gekümmert, wie schon seit zwanzig Jahren, das war
ein Fehler. Und dann kam ich zurück und fand ihn, und vorn auf der Wand tanzte
das Mädchen den Totenreigen. Das war ‘ne Glanzleistung, Jühl, das muß ich
wirklich sagen.« Jetzt starrte ich ihm ins Gesicht, wie er mir. Mit echter Wut
im Herzen, trotz der Pillen. Elsie sah ziemlich ratlos aus. Sie rückte einen
Schritt von ihm weg. Sie war schon auf dem Weg zu mir.
    »Weiter«, sagte der Jühl. Seine Stimme
war voller Rost. »Weiter, du weißt das alles so genau.«
    »So genau wußte ich das gar nicht. Aber
dann schickte mich Nathan zu Stefans geschiedener Frau, und sie erzählte mir
von deiner Mutter und zeigte mir dieses Bild. Zuerst habe ich gedacht, ich
hätte die Frau in einem alten Film gesehen oder in einem Prospekt oder
Kalender, wo sich die Soldaten die Bilder rausreißen und sie sich in das Spind
hängen. Aber dann kam ich auf was anderes, die Frau sieht dir ähnlich, Jühl.«
    Ich warf das Bild auf den Tisch.
    »Guck es dir an, Elsie, und ihn. Ganz
die Mama...«
    Elsie schielte zu dem Bild herüber. Sie
wagte nicht, den Jühl anzusehen. Er warf einen Blick hinunter, ganz kurz nur,
als wäre ihm das Gesicht längst vertraut.
    »Als es soweit war, fing ich an zu
spinnen. Ein Drehbuchfritze muß ein bißchen spinnen, sonst wird er arbeitslos.
Das gehört zu dem Gewerbe. Ich dachte mir, daß du der Sohn dieser Frau bist und
dir vorgenommen hast, deinen lieben Vater wieder mit ihr zu vereinigen.
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