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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb
Autoren: Hans Gruhl
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bereit halten sollte. Der arme Nathan. So viel
Ärger hatte er schon mit dem Film gehabt. Es sollte noch mehr werden.
    Sonst war nichts da. Keine Nachricht
von Nogees und seinem strebsamen Kollegen, der mich höchstwahrscheinlich noch
brauchen wollte. Vielleicht hatten sie mich vergessen, aber ich war sicher, sie
bald wiederzusehen.
    Ich hatte Hunger. In der Wohnung riß
ich alle Fenster auf. Im Eisschrank fand ich ein paar ältere Bratwürste.
Während sie in der Pfanne schwitzten, kochte ich einen Tee von der Stärke, wie
ich ihn damals nach der Sauferei bei Tante Cläre gebraucht hatte. Er trieb
meinen Puls in die Höhe, als hätte ich neununddreißig Grad Fieber.
    Dann setzte ich mich hinter meine
Schreibmaschine und klappte den Deckel von der Maschine hoch. Es tat mir in der
Seele weh, eine Arbeit machen zu müssen, ohne dafür bezahlt zu werden. Seit
Jahren hatte ich das nicht mehr getan. Nichts anderes blieb übrig.
    Ich begann zu schreiben. Zeile um
Zeile, mit langen Pausen. Den ganzen Fall von Anfang an, wie einen Entwurf für
einen Film. Ich schrieb mit zwei Durchschlägen, als wollte ich die Geschichte
an drei Firmen zugleich schicken. Die Seiten füllten sich. Alles sah ich wieder
vor mir, die Lebenden und die Toten und das Atelier sechs mit seinen Gängen,
seinem Vorführraum und der mächtigen dunklen Halle.
    Zwischendurch machte ich mir noch
einmal Tee und rauchte eine Zigarette. Die Sonnenstrahlen wanderten über meinen
Schreibtisch, über mein Gesicht, und brachten die Chrombeschläge auf meiner
Maschine zum glitzern. Als ich die letzte Zeile schrieb, war die Sonne
untergegangen, und es wurde allmählich dunkel.
    Ich brachte die Blätter und die
Durchschläge in die richtige Reihenfolge und las alles noch einmal durch. Der
Zweifel überkam mich, ob sich alles wirklich so abgespielt hatte, wie es da
stand. Aber er schwand, je weiter ich las. Es mußte so gewesen sein und nicht
anders.
    Ich schrieb noch einen Begleitbrief, in
dem ich mich für verschiedenes zu entschuldigen versuchte. Es klang lahm und
albern und würde nicht viel helfen.
    Den Umschlag adressierte ich an
Kommissar Daniel Nogees — Polizeipräsidium.
    Ich zog meine Jacke an und ging
hinunter, zwei Straßen weiter zum Briefkasten. Es wurde noch geleert.
Dreiundzwanzig Uhr. Weit hatte es der Brief nicht.
    Ich ging noch einmal um den Häuserblock
und dann zurück. Als ich an mein Haus kam, flammte oben hinter der dunklen
Fensterfläche meines Wohnzimmers Licht auf.
    Ich blieb stehen und sah hinauf.
    Nur Elsie hatte einen Schlüssel. Sie
mußte es sein.
    Hoffentlich.
    Jemand anderes hätte kaum Licht
gemacht, sondern im Dunkeln auf mich gewartet. Es sei denn, ich sollte ihn für
Elsie halten.
    Mein Heldenmut langte wieder einmal
nicht, um die Wahrheit sofort festzustellen. Ich ging die nächste Querstraße
hinunter bis zur Telefonzelle und rief meine Nummer an. Es war mir unklar, was
ich tun würde, wenn sich niemand meldete trotz der erleuchteten Fenster.
    Es war eine bekannte Stimme, die ich
hörte.
    »Wo treibst du dich herum?«
    »Ich bin ein bißchen
spazierengegangen«, sagte ich ziemlich erleichtert. »Weil ich schon wieder
zugenommen habe, obwohl ich nichts zu essen bekomme.«
    »Nichts zu essen? Die Pfanne schwimmt
noch im Fett. Und alle Bratwürste sind weg! Aufwaschen konntest du auch nicht,
wie?«
    »Es ist das Ende des Abendlandes, wenn
der Mann abwäscht«, sprach ich. »Ich bin gleich da, Mäuschen!«
    Auf dem Weg zur Haustür dachte ich
daran, wie gut es gewesen war, die Durchschläge meines Briefes wegzuräumen.
    Elsie empfing mich in einer neuen Bluse
zu etwa achtundsechzig Mark.
    »Wie findest du sie?«
    »Großartig!« erwiderte ich. »Seitdem
ich arbeitslos bin, wirst du immer sparsamer! Aber jetzt wird ja gottlob
weitergedreht.«
    In der Küche entdeckte ich einen Haufen
von Lebensmitteln, darunter ein Riesenpaket Kalbsschnitzel.
    »Ein Wunder, daß du noch Geld für die
Bluse hattest«, murmelte ich. »Was soll das?«
    Sie betrachtete mich schadenfroh. ,
    »Wie du mir, so ich dir. Das letztemal
hast du Herrn Jüstel eingeladen, ohne mir etwas zu sagen! Heute habe ich es
gemacht. Er kommt morgen zum Mittagessen! Wohl!«‘
    Ich sah sie an, als hätte ich sie nicht
richtig verstanden. Meine Beine wurden etwas weich. Langsam setzte ich mich auf
einen Küchenstuhl. Elsie musterte mich mit Erstaunen.
    »Paßt es dir nicht?«
    »Ach — doch, doch«, sagte ich. »Soll
ich ihm die Schnitzel braten?«
    »Ich habe frei. Den
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