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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb
Autoren: Hans Gruhl
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ganz
harmlos. Bißchen Alkohol, nette Umgebung, und ‘ne nette kleine Keilerei...«
    »Keilerei?«
    »Einer wollte mir den Schlips abreißen.
Der Jühl hat mich gerettet.«
    Elsie markierte Verachtung.
    »Natürlich! Erst fängst du mit den
Leuten Streit an, und dann müssen andere dich rausholen. Ist es so?«
    »Genauso.«
    »Ich wußte es wohl! Und dann?«
    »Dann kam die Wirtin, und wir haben mit
ihr weitergesoffen.«
    »War sie hübsch?« Elsie machte
Stirnfalten.
    »Bildhübsch«, sagte der Jühl. »Schlank
wie eine Tanne! Eine prima Frau!«
    »Ich will sie auch sehen.«
    »Wir nehmen Sie mit, das nächstemal«,
er sah mich an. »Wir können doch heute abend hingehen! Was meinst du?«
    »Wenn nichts dazwischenkommt, gern«,
sagte ich.
    »Was soll da dazwischenkommen?« fragte
er.
    Seine Augen blieben auf meinem Gesicht,
ich sah die Pünktchen um seine Pupillen ganz deutlich. Seine Worte kamen etwas
langsamer.
    »Übrigens, hast du diesen Lobkowicz
oder wie er hieß, erwischt? Der, von dem Tante Cläre erzählt hat?«
    Es war soweit. Trotz meiner Pillen und
trotz des Alkohols wußte ich, daß es ein verfluchter Leichtsinn war, der Elsie
und mich das Leben kosten konnte. Aber ich war zu oft ausgewichen und hatte
mich gedrückt, ich wollte nicht mehr.
    Langsam nickte ich. »Ich habe ihn
erwischt.«
    Der Jühl beugte sich etwas vor. Er
legte seine Hände auf die Sessellehnen. Elsie sah mich an. Sie hatte immer noch
ihre Falten über der Nasenwurzel. Der Jühl fragte: »Was hat er gesagt?«
    Ich trank meinen Schnaps aus, den
letzten.
    »Er konnte nicht viel sagen.«
    Eine kleine Pause entstand. Schon jetzt
merkten die beiden, daß mit mir etwas in Unordnung war.
    »Warum nicht?«
    »Tja«, sagte ich, »ich war ganz
enttäuscht, weißt du. Er hätte vielleicht was gesagt, aber er hatte zwei Kugeln
im Gehirn. Die waren ihm irgendwie hinderlich.«
    Der Jühl verstand mich schnell. Elsie
nicht — ihre Lippen bebten.
    »Was sagst du?«
    »Ich war in seiner Wohnung«, sagte ich,
immer noch zu Jühl gewandt. »Er war tot. Erschossen. Tot.«
    Elsie saß reglos.
    Der Jühl fragte mir rauher Stimme: »Wer
hat ihn erschossen?«
    Ich brachte es fertig, ihn anzugrinsen.
    »Aber Jühl!« sagte ich. »Wer ihn
erschossen hat? Du! Unser lieber Gast! Herr Thomas Jüstel,
Nachwuchsdarsteller.«
    Unten klingelte die Straßenbahn. Die
Turmuhr schlug, und ein Kran quietschte von einer Baustelle her. Bei uns war es
ganz still, als sei niemand im Zimmer.
    Jühls Hände auf der Lehne des Sessels
streckten sich aus. Die fröhlichen Linien in seinem Gesicht lösten sich auf.
Seine Pupillen erweiterten sich etwas, er mußte sehr aufgeregt sein.
    Auf die nächsten Sekunden war ich so
gespannt, wie noch nie auf etwas in meinem Leben.
    Langsam stand er auf. Seine Bewegungen
waren ruhig und ohne Hast. Er trat neben seinen Sessel, trat zwei Schritte
zurück, ohne mich aus den Augen zu lassen. Er stand jetzt in dem Winkel, den
die Wand mit der Tür bildete. Niemand konnte an ihm vorbei. Seine Arme hingen
herunter, ich wartete auf die nächste Bewegung seiner Hände.
    Statt dessen bewegte sich Elsie. Sie
sprang mit einem Ruck auf. Sie lief zum Jühl, faßte seinen linken Arm.
    Ihr Gesicht war so wütend und
verzweifelt, wie ich es noch nie gesehen hatte.
    »Hören Sie nicht auf ihn, Jühl!« Sie
schluchzte. »Er ist wieder betrunken! Ich schäme mich so!«
    Im Augenblick konnte ich ihr nicht
helfen.
    »Ach, das mit dem Lobkowicz ist noch
nicht das Schlimmste«, sagte ich. Ich hielt die Hände weiter vor dem Bauch
gefaltet. »Das war nur ein Fremder. Jühl — wie ist eigentlich das Gefühl, wenn
man seinen eigenen Vater von hinten ersticht? Ist das toll?«
    Sein Gesicht war eine häßliche, fremde
Maske. Nicht mehr das von früher. Elsie klammerte sich an ihn. Alle Wut und
Enttäuschung, die sie in sich hatte, saß in ihren Augen, mit denen sie mich
anstarrte.
    Ich war ziemlich verlassen in diesem
Moment. »Ich wünschte, ich wäre betrunken«, sagte ich. »Ich hab’s probiert,
aber heute schaffe ich es nicht. Tief bedauerlich, Jühl, vor allen Dingen, wo
es das letzte Mal ist, daß wir zusammen saufen.«
    »Ich glaube auch«, sagte er.
    »Ja. Möchtest du eine Geschichte hören,
bevor du gehst?«
    »Wenn sie gut ist, ja.«
    »Wunderbar. Dein Vater hätte sie
inszenieren müssen, aber wie soll er das jetzt noch machen?«
    Ich nahm die Hände vom Bauch weg.
    »Wenn ich jetzt in die Tasche greife,
Jühl — ich hole nur das Bild raus. Das von deiner
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