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Nigger Heaven - Roman

Nigger Heaven - Roman

Titel: Nigger Heaven - Roman
Autoren: Walde + Graf Verlag
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dem Carl in vielen Dingen ähnlich war, nannte einmal den gesamten künstlerischen Prozess »die Rehabilitierung des Alltäglichen«. Carl, der bei Muriel Draper als Feuerwehrmann verkleidet war, stellte mir dort einen jungen schwarzen Vaudevilletänzer vor. Er war der allererste Farbige, mit dem ich eine persönliche Unterhaltung hatte. In Boston aufgewachsen und durch Cambridge isoliert, konnte ich mir unmöglich vorstellen, dass es jetzt auf der Welt, von Manhattan ganz zu schweigen, einen magischen Dschungel namens Harlem gab. Der Tänzer, den Carl mit Unterricht und Geld unterstützt hatte, war für mich so seltsam, attraktiv und exotisch wie ein schwarzes Einhorn. Er war ein geheimnisvolles Tier aus jenen fernen Landen oberhalb der 125 th Street, wo Tänzer mit der Begabung, der Leidenschaft und den Fähigkeiten Nijinskys geboren wurden und aufwuchsen, auch wenn ihnen nicht die Möglichkeiten einer imperialen Patronage und einer klassischen Ausbildung zur Verfügung standen. Carl war mein Dr. Livingstone. Er half mir dabei, den wunderbaren dunklen Kontinent zu erforschen, in dem diese prachtvollen Paläste wie die Savoy Dance Hall und das Apollo Theatre leuchteten. Dies war damals ein Harlem, das wider Erwarten wohlgesonnen und offen war und den Prince of Wales, Miguel Covarrubias, Muriel Draper und all die Schriftsteller und Künstler freundlich empfing, die in seinen Schatten die einzige authentische Eleganz in Amerika wahrnahmen.
    Heute, wo wir mit furchtbaren Rassenkonflikten konfrontiert sind, tut es gut, an jene weißen Pioniere zu erinnern, die E.M. Forster (in A Passage to India) als »pinko-grey (rosagrau)« bezeichnete und die früh in der Geschichte einer nationalen Bewegung den heutigen, gewaltigen Bürgerrechtskampf zündeten. Carl war, wenn man es in kulturgeschichtlicher Hinsicht betrachtet, vielleicht die wichtigste Gestalt in dieser Bewegung seit Booker T. Washington, der auf Einladung von Theodore Roosevelt der erste Farbige war, der zum Essen ins Weiße Haus eingeladen wurde. Ich war vor kurzem in Boston und sah mir wieder mit Erstaunen und Tränen in den Augen das erhabene Ehrenmal an, das der Staat Massachusetts dem Oberst Robert Gould Shaw errichtete, dem jungen Aristokraten aus Neuengland, der auf eigene Kosten das erste freiwillige Regiment von ehemaligen Sklaven für den Bürgerkrieg rekrutierte, der sein Regiment viele Monate lang verpflegte, als die Regierung der Nordstaaten seinen Männern den Sold verweigerte und der mit dreihundert seiner Männer nach dem furchtbaren Sturm auf Fort Wagner in einem Massengrab endete. Carl Van Vechten war zu alt, um letzten Sommer an dem Marsch nach Mississippi teilzunehmen, aber viele Teilnehmer, selbst wenn sie es nie geahnt hätten, waren gewiss durch Carls jahrzehntelange Anstrengungen und durch seine Freude an der Bewahrung, der Wiederbelebung und der Verbreitung all dessen, was so wundervoll an der Tiefe, der Großartigkeit, der Tragödie und der Brillanz der afro-amerikanischen Tradition ist, spirituell gestärkt.
    Carl machte Harlem für mich zu einer realen Erfahrung; es war damals nicht das tragische Harlem unserer Tage. Es war noch eine Gemeinde und viel geheimnisvoller, privater, abgelegener und weniger gefährlich. Für uns war Harlem eher ein Arrondissement von Paris als ein Schlachtfeld des Großraums New York. Es war das Harlem von Josephine Baker, der Show Blackbirds of 1926 und des Romans Prancing Nigger von Ronald Firbank. E.M. Forster, der aus eigener Erfahrung als imperialistischer Kolonialbeamter in Indien mehr über Rassenbeziehungen weiß als viele Politiker und Soziologen, nannte Firbank »dieser eiserne Schmetterling«. Carl liebte Firbank, und in The Tattooed Countess, in Nigger Heaven und in Parties findet sich das gleiche trügerische Understatement des Phantastischen, Ironischen und Unerhörten, das in seiner Ironie ein gewisses Pathos enthält und dessen brillantes Aufblitzen seine schwarzen Schatten hat. Firbank und Van Vechten sind viel »ernsthaftere« Autoren als schwergewichtigere Zeitgenossen, und ihre Gesellschaftskritik ist weitreichender als das doktrinäre Mitleid und der Protest der dreißiger und vierziger Jahre.
    Carl war in vielfacher Hinsicht verantwortlich für die frühe Anerkennung und den Triumph des amerikanischen Jazz und des Jazztanzes in Frankreich und dann in ganz Europa und der Welt. Seine frühen Studien zu Strawinsky (dessen Interesse am Ragtime schon vor 1916 bestand), seine Darlegungen zu
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