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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe
Autoren: Kerstin Decker
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Wirklichkeit.
    Kein Mensch existiert in der Faktizität seines äußeren Lebens. Überhaupt scheinen dies nur mitunter die Biographen anzunehmen. Viele andere wissen oft nicht einmal, welches Datum der Tag trägt, in dem sie sich gerade aufhalten. Vor allem aber gehen im Bewusstsein jedes Menschen jeden Tag und fast in jedem Augenblick Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beinahe nahtlos ineinander über. Die Verfasserin sah sich außerstande, auf die Adaption dieses Vorzugs der – inneren – Wirklichkeit zu verzich ten.
    Auch wurde es so möglich, dass die beiden Hauptpersonen schon zu ihrer ersten Begegnung ihre Vergangenheit mitbringen durften, ja, ganze unzerhauene gordische Lebensknoten, statt nur ihre großen, inzwischen vielleicht zu großen Namen.
    Der nicht leicht fortzuwischende Einwand lautet: Was hat ein ernsthafter Biograph im Innern seiner Figuren verloren? Ist der Aufenthalt dort nicht unseriös? Aber das Leben ist unseriös. Und sollte Autoren, die sich noch nach Jahren des intimsten Umgangs ihrer Nichtbekanntschaft mit den Dargestellten rühmen, nicht vielleicht ebenso zu misstrauen sein?
    In Nietzsches Sinne ließe sich vermuten, dass auch die Bescheidenheit mitunter eine Form der Anmaßung ist. Ja mehr noch, wer würde der vermeintlich »objektiven Darstellung« mehr misstrauen als gerade er? Denn sie betrügt sich um die Einsicht, dass es diese Objektivität gar nicht gibt – schon insofern es einen Autor gibt. Also eine Perspektive, viele Perspektiven, wenn möglich. Aber eben doch Perspektiven. Natürlich lässt sich die Suggestion der Objektivität durch die Abwesenheit von Stil stärken. Doch auch die Abwesenheit von Stil ist noch Stil, hätte Friedrich Nietzsche wohl geantwortet. Doch das alles ist Polemik, und wenn es einen Einwand gegen diesen Autor gibt, dann ist es nicht zuletzt das Übermaß des Polemischen.
    Sagen wir es so: Die Verfasserin wusste sich Nietzsches Anliegen verpflichtet, den zu großen und missbräuchlichen Begriff der Wahrheit durch den der Redlichkeit zu ersetzen, gewissermaßen als höchste einem Autor mögliche Selbstverpflichtung.
    Kerstin Decker
    Berlin-Treptow, August 2012

Abkürzungen
    KSA Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin/New York 1988
    KSA SB Friedrich Nietzsche, Sämtliche Briefe, Kritische Studienausgabe in 8 Bänden, hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1986
    NW Nietzsche und Wagner. Stationen einer epochalen Begegnung, hrsg. von Dieter Borchmeyer und Jörg Salaquarda, 2 Bde., Frankfurt a. M. und Leipzig 1994
    Briefwechsel Richard Wagner und König Ludwig II. von Bayern, hrsg. vom Wittelsbacher Ausgleichs-Fonds und Winifred Wagner, Karlsruhe 1936

Zeittafel
    1813 22. Mai Richard Wagner in Leipzig geboren
Völkerschlacht bei Leipzig
    1844 15. Oktober Friedrich Nietzsche in Röcken bei Lützen geboren
Berliner Erstaufführung des »Fliegenden Holländers« und Hamburger Erstaufführung des »Rienzi« (beides unter Wagners Leitung)
Aufstand der Schlesischen Weber
    1868 am 8. November begegnet Friedrich Nietzsche zum ersten Mal Richard Wagner bei Hermann Brockhaus in Leipzig
    1869 am 17. Mai besucht Nietzsche Wagner zum ersten Mal in Tribschen, zweiter Besuch Nietzsches am 5. / 6. Juni, als Siegfried geboren wird; Uraufführung von »Das Rheingold« in München (ohne Wagner), Nietzsche zu Weihnachten in Tribschen
Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei durch Bebel und Liebknecht, Eröffnung des Suezkanals
    1870 28. – 30. Juli Nietzsche mit Schwester Elisabeth in Tribschen, Uraufführung »Die Walküre« in München (ohne Wagner), Scheidung Cosimas von Hans von Bülow, Heirat mit Wagner (kirchlich-protestantisch)
Deutsch-Französischer Krieg Der Kriegsfreiwillige Friedrich Nietzsche begleitet als Krankenpfleger Verwundetentransporte, erkrankt an Diphtherie und Ruhr, zu Weihnachten wiederum Besuch in Tribschen (erstmals das »Siegfried-Idyll« im Hause Wagner gespielt)
    1871 Nietzsche mehrfach zu Besuch in Tribschen, Begegnung Cosima und Richard Wagners mit Nietzsche in Basel, Verhandlungen über ein Festspielhaus in Bayreuth, Weihnachten ohne Nietzsche in Tribschen, Nietzsche schenkt seine Komposition »Sylvesternacht« Cosima zum Geburtstag
Pariser Kommune, Wilhelm I. von Preußen wird deutscher Kaiser
    1872 Grundsteinlegung fürs Bayreuther Festspielhaus, »Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik« erscheint, Nietzsche
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