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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe
Autoren: Kerstin Decker
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Hände!
    Gebt Herzens-Kohlebecken!
    Hingestreckt, schaudernd,
    Halbtodtem gleich, dem man die Füße wärmt –
    Geschüttelt, ach! von unbekannten Fiebern,
    Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen,
    Von dir gejagt, Gedanke!
    Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher!
    Darniedergeblinzelt von dir,
    …
    Von Dir, grausamster Jäger,
    Du unbekannter – Gott!

    Triff tiefer,
    Triff Ein Mal noch!
    Zerstich, zerbrich dies Herz!
    …
    Nicht tödten willst du,
    Nur martern, martern?
    Wozu – mich martern,
    Du schadenfroher unbekannter Gott? –
    Und so geht das weiter. Porträtiert der grausame Dichter Wagners Angst, verlassen zu werden, seine Begabung zum selbstquälerischen Genuss? Und zuletzt – seine Schwäche? Der Her- und Fortgerufene wendet sich tatsächlich ab, darauf der Zauberer:
    Nein! Komm zurück,
    Mit allen deinen Martern!
    Zum Letzten aller Einsamen
    Oh komm zurück!
    All meine Thränen-Bäche laufen
    Zu dir den Lauf!
    Und meine letzte Herzens-Flamme –
    Dir glüht sie auf!
    Oh komm zurück,
    Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz! Mein letztes –
    Glück!
    Ein Porträt des Künstlers als Antiheld. Und was macht Zarathustra, der Hörer dieses Klagelieds? Er prügelt den Alten. Da springt der geschlagene Zauberer – der Schauspieler! – auf und spricht: Solcherlei gehört zu meiner Kunst, dich selber wollte ich auf die Probe stellen, als ich dir diese Probe gab. …
    »Schmeichle nicht, antwortete Zarathustra, immer noch erregt und finsterblickend, du Schauspieler aus dem Grunde! Du bist falsch: was redest du – von Wahrheit! Du Pfau der Pfauen, du Meer der Eitelkeit, was spieltest du vor mir, du schlimmer Zauberer, an wen sollte ich glauben, als du … jammertest?«
    Der Zauberer sagt, er habe »den Büßer des Geistes«, eine Lieblingsfigur Zarathustras, gespielt. Alles was Friedrich Nietzsche gegen Schauspieler vorzubringen hat, sagt er dem armen Zauberer ins Gesicht – »Deine Krankheit würdest du noch schminken, wenn du dich deinem Arzte nackt zeigtest« –, um ihm am Ende zuzugestehen, dass er in einer Regung tatsächlich ein »Büßer des Geistes« sei. In seiner Müdigkeit und seinem Eingeständnis: »ich bin nicht gross.«
    Auch diese Kritik wird Friedrich Nietzsche nun immer wiederholen. Richard Wagner sei unfähig gewesen, sich selbst zu begegnen, ohne Maske. Décadents seien sie beide, schon als Söhne ihrer Zeit, aber er, Nietzsche, habe es sich eingestanden.
    Ich habe ihn geliebt und niemanden sonst 488 , heißt es in seinen Aufzeichnungen dieser Monate.
    Herbst 1884. Der »Zarathustra« ist fertig.
    Nietzsche weiß, wo er das begehen will: in Venedig. Hier wo Wagner den zweiten Akt seines »Tristan« komponierte. Wo er starb. Er tritt seine Erbschaft an. Meint er. Venedig sei die einzige Stadt, die er liebe. Sie bekommt ihm nie, sie ist viel zu feucht. Aber diesmal will er sogar an den Canal Grande, obwohl die freiere Luft am Fondamenta Nove ihm zuträglicher ist.
    Wenn ich ein anderes Wort für Musik suche, so finde ich immer nur Venedig. 489 Was aber ist für ihn Musik? Gotteserfahrung. Das Sein des Seienden, das Leben des Lebens, Grund und Abgrund in eins. Von seiner Wohnung aus blickt er direkt auf die Rialto-Brücke, es wird weder am Tag noch in der Nacht still unter seinem Fenster. Er ist einverstanden. Doch plötzlich hegt er Zweifel an seiner Unterkunft, steht in höchster Erregung in Köselitz’ Zimmer: »Ich glaube, ich wohne bei einer Hure!« Sie empfange Offiziere. Er begeht die Vollendung seines »Zarathustra« im Haus einer putana veneziana?, fragt er sich, fragt er den Freund und – bleibt.
    In seiner letzten Nacht an der Brücke hört er unter Tränen ein Adagio, als ob es noch kein Adagio vorher gegeben hätte.
    »Al Buso« – »Zum Loch« – heißt heute die Trattoria zwischen der Rialto-Brücke und dem Fondaco dei Tedeschi, mit dezentem Hinweis auf die Vergangenheit des Hauses.

Friedrich Nietzsche,
Gemälde von Hans Olde,
um 1889.
    An der Brücke stand / jüngst ich
in brauner Nacht …
    In den ersten Januartagen 1889 bekommt Cosima Wagner dreimal Post aus Turin; sie erfährt, daß ein gewisser göttlicher Hanswurst dieser Tage mit den Dionysos-Dithyramben fertig geworden ist 505 . Und dann, noch rätselhafter: Dies breve an die Menschheit sollst du herausgeben – du? wann hätte er »du« zu ihr gesagt? –, von Bayreuth aus, mit der Aufschrift: Die frohe Botschaft. 506 Wieder keine Unterschrift. Die längste Information lautet:
    An die Prinzeß Ariadne, meine
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