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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
Autoren: Annick Cojean
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Oberhaupt von Libyen! Das ist doch nicht irgendwer!«
    »Ach, wirklich? Er hat dieses Land ins Mittelalter zurückgeworfen, er reißt sein Volk in den Abgrund! Und du nennst ihn Oberhaupt!«
    Ich war enttäuscht und lief nach Hause, um meine Freude ganz allein für mich zu genießen. Papa war in Tripolis, aber meine Brüder schienen mir schon ein bisschen beeindruckt. Außer Aziz, dem Gaddafis Gesicht nicht gefiel.
    Als ich am nächsten Morgen zur Schule kam, bemerkte ich eine radikale Veränderung im Verhalten der Lehrer mir gegenüber.Für gewöhnlich waren sie sehr schroff, ja verächtlich zu mir. Und auf einmal waren sie beinahe zartfühlend, oder sagen wir: aufmerksam. Schon als einer mich »Kleine Soraya« nannte, hob ich verwundert eine Augenbraue. Und als ein anderer mich fragte: »Und, kommst du weiter zum Unterricht?«, als ob ich das entscheiden könnte, habe ich mir gesagt, das ist doch wohl nicht normal. Aber immerhin, es war der Tag nach einem Fest, und ich habe nicht weiter darüber nachgedacht. Nach Unterrichtsschluss, um 13 Uhr, bin ich nach Hause geflitzt, um mich umzuziehen, und um 13 Uhr 30 war ich im Salon, um Mama zu helfen.
    Um 15 Uhr ging die Tür auf, und die Frauen von Gaddafi kamen herein. Faiza als Erste, danach Salma und schließlich Mabruka. Salma war in ihrer Leibwächteruniform gekommen, einen Revolver am Gürtel. Die beiden anderen trugen klassische Gewänder. Sie sahen sich um – es war ein Tag mit viel Kundschaft –, fragten eine der Angestellten: »Wer von Ihnen ist Sorayas Mutter?« und gingen geradewegs auf sie zu.
    »Wir gehören zum Revolutionskomitee und waren dabei, als Muammar gestern Morgen die Schule besucht hat. Soraya fiel auf, sie sah bezaubernd aus in ihrem traditionellen Gewand und hat ihre Aufgabe sehr gut gemacht. Wir möchten, dass sie Muammar erneut einen Strauß überreicht. Dazu müsste sie jetzt gleich mitkommen.«
    »Der Augenblick ist nicht sehr günstig! Sie sehen, der Salon ist voll. Ich brauche meine Tochter hier!«
    »Es wird nicht länger als eine Stunde dauern.«
    »Und sie soll nur Blumen überreichen?«
    »Es könnte sein, dass sie auch noch einigen Frauen ein Make-up machen muss.«
    »Das ist was anderes. Aber dann gehe ich!«
    »Nein, nein! Die Blumen soll Soraya überreichen.«
    Ich folgte dem Gespräch zunächst neugierig, dann mit wachsender Erregung. Gewiss, Mama war tatsächlich überlastet an dem Tag, aber es war mir ein bisschen peinlich, dass sie ihre Abneigung so deutlich bekundete. Da es um den Führer ging, konnte sie in keinem Fall ablehnen! Am Ende hat meine Mutter zugestimmt – sie hatte ja gar keine Wahl –, und ich bin mit den drei Frauen mitgegangen. Ein großer Geländewagen stand vor dem Laden. Der Fahrer ließ den Motor an, noch bevor wir richtig drinsaßen. Mabruka auf dem Vordersitz, ich hinten eingeklemmt zwischen Salma und Faiza. Wir brausten los, gefolgt von einer Eskorte von zwei Wagen, die mir sofort auffielen.
    Und meine Kindheit war zu Ende.

2
Gefangen
    Wir sind sehr lange gefahren. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber die Fahrt erschien mir unendlich. Nachdem wir Sirte hinter uns gelassen hatten, ging es quer durch die Wüste. Ich sah immer geradeaus, ich wagte keine Frage zu stellen. Und dann kamen wir in Sdadah an, einer Art Heerlager. Es bestand aus mehreren Zelten, zwischen ihnen eine Reihe Autos und ein riesiger Wohnwagen, vielmehr, es war ein unfassbar großer und ausgesprochen luxuriöser Wohnbus. Mabruka ging auf das Fahrzeug zu und bedeutete mir, ihr zu folgen, und da glaubte ich in einem Wagen, der gerade kehrtmachte, eine der Schülerinnen zu erkennen, die mit mir am Tag zuvor auserwählt worden waren, den Führer zu empfangen.Das hätte mich beruhigen können, und doch erfasste mich in dem Augenblick, als ich den Riesenwohnbus betrat, eine unbeschreibliche Angst. Als ob mein ganzes Wesen sich der Situation verweigerte. Als ob es intuitiv erfasste, dass sich etwas sehr Negatives über mir zusammenbraute.
    Drinnen saß Muammar Gaddafi, er thronte auf einem roten Massage-Sessel, die Fernbedienung in der Hand. Wie ein Kaiser. Ich ging auf ihn zu, um ihm die Hand zu küssen, die er mir schlaff entgegenhielt, während er woandershin sah. »Wo sind Faiza und Salma?«, fragte er Mabruka gereizt. »Sie kommen auch gleich.« Ich war überrascht. Kein einziger Blick für mich. Ich existierte gar nicht. So vergingen ein paar Minuten. Ich wusste nicht, wohin mit mir. Schließlich stand er auf und fragte
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